Interview zur ARD-Serie "Bonn - Alte Freunde, neue Feinde"

Mercedes Müller: "Frauen waren in den 50-ern Dienstleisterin für den Mann"

14.01.2023 von SWYRL/Eric Leimann

Mercedes Müller spielt die Hauptrolle in der ARD-Event-Serie "Bonn - Alte Freunde, neue Feinde". Im Interview spricht die 26-jährige Berlinerin über die Frau als Dienstleisterin, ihre aufgegebene Karriere als eine der besten Kickboxerinnen der Welt und das Beruhigende des "alten Fernsehens".

Man wird in Deutschland kaum eine 26-jährige Schauspielerin finden, deren Filmliste so lang ist wie jene von Mercedes Müller. Trotzdem gilt die Berlinerin immer noch ein bisschen als Geheimtipp. Mit der Rolle einer jungen Frau, die im westlichen Nachkriegsdeutschland in einen Konflikt konkurrierender Geheimdienste und "Weltbilder" gerät, dürfte sich das nun ändern. In der historischen Miniserie "Bonn - Alte Freunde, neue Feinde" (Dienstag, 17. Januar, 20.15 Uhr, Das Erste) spielt Mercedes Müller die Hauptrolle. Dabei schafft sie es, die Serie durch feine Charakterzeichnung fast alleine zu "tragen". Im Interview spricht die Tochter eines Deutschen und einer Polin über die Schwierigkeiten mit ihrem Vornamen und das - aus heutiger Sicht - ziemlich erstaunliche Frauenbild der 50er-Jahre in Deutschland. Auch darüber, wie sehr der ehemaligen Top-Kickboxerin ihr Sport fehlt und warum sie trotz ihrer Jugend regelmäßig "altes Fernsehen" konsumiert.

teleschau: Frau Müller, wie sind Sie zu dem schönen, aber ungewöhnlichen Vornamen Mercedes gekommen?

Mercedes Müller: Da müssen Sie meine Eltern fragen (lacht). Mercedes ist eher im Spanischen als Vorname gebräuchlich. Es gibt, glaube ich, keine spannende Geschichte dazu. Mein Vater fand den Namen einfach sehr schön ...

teleschau: Ihr Vater ist Deutscher, Ihre Mutter kommt aus Polen. Kennt man dort den Namen Mercedes?

Mercedes Müller: Nein, überhaupt nicht. Obwohl Mercedes ja auch eine Abwandlung von Maria ist.

teleschau: Sind Sie wegen des Namens gehänselt worden oder gab es kreative Abkürzungen?

Mercedes Müller: Die Leute sind heute immer noch irritiert davon, dass Menschen so heißen können (lacht). Gehänselt wurde ich wegen meines Namens aber nicht. Meine Freunde nennen mich oft Mercy oder Merc (beides in englischer Aussprache, d Red.). Letzteres sagen aber nur meine engsten Freunde.

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"Frauen waren in den 50-ern Dienstleisterin für den Mann"

teleschau: Ihre Miniserie "Bonn" spielt in der ganz jungen Bundesrepublik. Was hat Sie beim Einstieg in diese Epoche überrascht?

Mercedes Müller: Ich kannte die ganze Geschichte um die "Organisation Gehlen" gar nicht. Es war mir neu, dass viele prominente Nationalsozialisten in der Nachkriegszeit nicht verurteilt wurden, sondern in Westdeutschland zu neuen Posten kamen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in der Schule darüber gesprochen wurde. Viele Täter mit Dreck am Stecken wurden sogar vom System unterstützt, wenn es darum ging, sich für neue hohe Posten zu bewerben.

teleschau: Glauben Sie, dass diese Dinge nur für Sie und jüngere Generationen neu sind?

Mercedes Müller: Nein, ich glaube, dass darüber bisher insgesamt wenig gesprochen wurde und bekannt ist. Vor kurzem kam ein Buch raus, das heißt "Geheime Dienste". Darin geht es unter anderem um die politische Inlandsspionage, die die "Organisation Gehlen" betrieben hat. Viele Fakten von damals kommen erst heute ans Licht, oder man beschäftigt sich zumindest erst heute damit.

teleschau: In "Oktoberfest 1900" spielten Sie eine junge Frau, die gegen ihren Willen verheiratet werden soll. In der Serie "Bonn", die gut 50 Jahre später spielt, hatten Frauen immer noch wenig Entscheidungsfreiheit über ihr Leben. Wie erleben Sie solche Rollen?

Mercedes Müller: Für mich ist es selbstverständlich, dass ich über mein Leben frei bestimme. Historische Stoffe zeigen aber sehr deutlich, dass ein Leben, wie ich es führe, für Frauen noch vor relativ kurzer Zeit undenkbar war. Frauen waren in den 50-ern Dienstleisterin für den Mann. Ihre Rolle war die der Hausfrau und Mutter. Man sieht es an den Werbespots dieser Zeit, die heute wie Satire wirken. Ich habe mir viele davon angeschaut und konnte anfangs gar nicht glauben, dass die echt waren. Die Frauen damals schienen laut Werbespots nur zwei bis drei Lebensfragen umzutreiben: Was koche ich, wie bekomme ich den Haushalt sauber und was ziehe ich an?

"Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich keine richtige Ausbildung habe"

teleschau: Ihr Figur Toni in der Serie "Bonn" ist aber schon eine Rebellin gegen dieses System ...

Mercedes Müller: Ja, es ist eine Emanzipationsgeschichte, da Toni lieber selbständig leben will. Sie will in einem interessanten Job arbeiten, und sie will keinen Ehemann. Wer damals keinen Mann hatte, war als Frau keine vollständige Person. Es ist ein Riesenkampf für sie, in einer von Männern dominierten Welt ernst genommen zu werden.

teleschau: Sie sind 26 Jahr alt und schauen bereits auf eine lange Liste mit Filmen zurück, in den Sie mitgespielt haben. Zum Film sind Sie schon als Kind gekommen. Aber Ihre Eltern hatten nichts mit der Branche zu tun, oder?

Mercedes Müller: Nein, sie haben nichts mit der Branche zu tun. Der Vater eines Freundes meines Bruders war Filmproduzent und hatte meinen Bruder und mich öfter mal gesehen. Irgendwann fragte er, ob wir nicht Lust hätten, zu einem Casting zu kommen. Damals hat er den Kinderfilm "4 Freunde und 4 Pfoten" gedreht. Wir haben die Rollen bekommen und 2003 unseren ersten Film gedreht. Danach ging es immer irgendwie weiter. So ist Schauspiel auf organische Weise Teil meines Lebens geworden. Der Film war immer irgendwie da.

teleschau: Ist Ihr Bruder älter als Sie?

Mercedes Müller: Ja, mein Bruder Kai ist heute 31 und ebenfalls Schauspieler von Beruf.

teleschau: Haben Sie je daran gezweifelt, ob der Beruf der richtige ist?

Mercedes Müller: Ich habe immer wieder mal überlegt und ausprobiert, wie es wäre, etwas anderes zu machen. Da habe ich dann ein bisschen studiert, zum Beispiel BWL. Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich keine richtige Ausbildung habe. Hätte ich mich auf einer Schauspielschule beworben, wäre es schwierig geworden, weiterzudrehen - und es gab eigentlich immer Angebote. Deshalb bin ich auch immer wieder zum Spielen zurückgekommen.

"Am Ende war es zu viel Druck für mich"

teleschau: Sie haben noch etwas anderes sehr intensiv betrieben, nämlich Kickboxen. Da waren Sie mehrere Male Deutsche Jugendmeisterin. Aber Sie haben mittlerweile mit dem Sport aufgehört, richtig?

Mercedes Müller: Ja. Der Sport kam ähnlich wie das Schauspielen in meiner Kindheit in mein Leben. Beides habe ich sehr intensiv betrieben. Ich war beim Kickboxen im Nationalteam, habe bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften gekämpft. Irgendwann kam der Punkt, da waren die Turniere einfach nicht mehr mein Ding. Sie waren für mich psychisch sehr anstrengend.

teleschau: Können Sie beschreiben, was genau "anstrengend" war?

Mercedes Müller: Ich hatte auf einmal Probleme mit dem Angreifen. Ich musste immer erst etwas abbekommen, um zurückzuschlagen. Am Ende war es zu viel Druck für mich. Ich habe mit 18 oder 19 von einem auf den anderen Tag aufgehört, weil mich das so überwältigte. Ich glaube, es war bei meiner letzten Europameisterschaft. Trotzdem muss ich sagen, dass ich den Sport sehr vermisse, vor allem das Training. Eine Trainingsgruppe ist wie eine Familie. Man verbringt enorm viel Zeit miteinander und kommt sich dabei auch sehr nahe.

teleschau: Hatten Sie ein Schlüsselerlebnis, das dazu führte, dass Sie von einem auf den anderen Tag mit dem Kickboxen aufgehört haben?

Mercedes Müller: Ja. Ich war im Kampf und spürte, dass ich den Kampf gewinnen könnte. Aber mein zweiter Gedanke war sofort: Dann muss ja ich noch mal kämpfen. Danach habe ich den Kampf verloren, war raus und dachte mir: Wenn ich jetzt schon freiwillig aufgebe, um nicht in die nächste Runde zu kommen, macht das Ganze keinen Sinn mehr.

"Ich kenne keinen Sport, der das in dieser Form leistet"

teleschau: Haben Sie einen Ersatz für diesen Teil Ihres Lebens gefunden?

Mercedes Müller: Nein, habe ich nicht. Aber ich merke immer mehr, dass ich ihn suche. Vor zwei Jahren trainierte ich drei Monate wieder intensiv, weil ich mich für einen Film auf die Rolle einer Kämpferin vorbereiten sollte. Der Film wurde dann leider - bisher - doch nicht verwirklicht. Aber ich habe dabei gemerkt, wie viel mir das Training für mein persönliches Wohlbefinden gebracht hat. Ich denke schon, dass Kampfsport grundsätzlich mein Ding ist. Mal sehen, was demnächst passiert ...

teleschau: Warum fasziniert Sie Kampfsport so sehr, wenn Sie doch andererseits Probleme damit haben, im Kampf jemandem wehzutun?

Mercedes Müller: Ich glaube, Kampfsport und Schauspiel haben ziemlich viel gemeinsam. In beiden Disziplinen muss man sehr im Moment sein, sehr aufmerksam, sich immer wieder anpassen - an unterschiedliche Gegner oder Partner. Für mich ist es wie eine Meditation. Ich kenne keinen Sport, der das in dieser Form leistet. Wenn ich aufs Laufband gehe und zehn Minuten laufe, langweile ich mich. Wenn ich Kampfsport betreibe, kann ich nach einer Stunde gefühlt mein T-Shirt auswringen, so durchgeschwitzt ist es, und habe noch nicht mal das Gefühl, ich hätte Sport gemacht. Mein Kopf ist dann total frei.

teleschau: Haben Schauspiel und Kampfsport insofern etwas miteinander zu tun, dass man sich bei Castings durchsetzen muss?

Mercedes Müller: Es ist schon etwas anderes, ob man gegeneinander kämpft oder miteinander spielt. Beim Casting für eine Rolle steht man ja auch nicht gleichzeitig "im Ring". Was vergleichbar ist: Man muss in einer definierten Situation mit Druck umgehen. Beim Kampf und beim Casting weiß man, dass es nur diese eine Gelegenheit gibt, den Moment für sich zu nutzen. Man muss das Lampenfieber umdeuten und es als etwas Positives sehen - dann hat man einen großen Vorteil. Im Körper sind beide Reaktionen sehr ähnlich: Das Adrenalin schießt ein, der Puls geht hoch, der Körper ist sehr aufmerksam und fokussiert. Man ist im Leistungsmodus - und das ist vergleichbar.

"Man könnte sehr viel mehr Qualität aus unserem Beruf herausholen"

teleschau: Haben Sie als erfahrene und doch noch sehr junge Schauspielerin eine Strategie für die Zukunft?

Mercedes Müller: Man kann eine Schauspiel-Karriere nicht planen. Da muss das Motto lauten: "Go with the flow." Was ich aber schon spüre: Ich hätte gern mehr Zeit bei der Arbeit. Dass man mal Gelegenheit hätte, vor dem ersten Drehtag drei Monate zu proben. Oder dass es einfach toll wäre, statt für fünf Takes für zehn Takes pro Szene Zeit zu haben. Vielleicht wissen viele gar nicht, unter welchem Zeitdruck die meisten Filme heute entstehen. Man könnte sehr viel mehr Qualität aus unserem Beruf des Filmemachens herausholen, wenn wir alle mehr Zeit für unsere Arbeit hätten.

teleschau: Sie gehören einer Generation an, die das lineare Fernsehen, für das Sie viel arbeiten, eigentlich nicht mehr schaut. Haben Sie privat überhaupt Lust, sich eine Serie oder einen Film in ARD oder ZDF anzuschauen?

Mercedes Müller: Grundsätzlich haben Sie Recht, viele meiner Altersgenossen und auch ich schauen diese Formate gar nicht, für die ich oft drehe. Wir sind vor allem bei Streamingdiensten unterwegs. Trotzdem schaue ich selbst oft bei den klassischen Sendern rein, weil ich durch die langen Jahre im Beruf viele Kolleginnen und Kollegen gut kenne und sehen will, was sie da machen. Hinzukommt, dass mein Vater ein Riesenfan von "Tatort" und Krimis überhaupt ist. Da bin ich dann oft dabei, wenn er schaut. Für mich hat das auch etwas Beruhigendes.

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