Oliver Kalkofe und Peter Rütten im Interview

"Man sollte sich den Eskapismus erhalten"

06.06.2022 von SWYRL/Maximilian Haase

Ist Retro immer Kult? Und dürfen wir uns in Krisenzeiten mit gutem Gewissen leicht unterhalten lassen? Oliver Kalkofe und Peter Rütten im Gespräch über ihr neues Kultfilm-Format, Humor in Zeiten des Krieges, TV-Revivals und den Zustand des deutschen Fernsehens.

Ob es jemand ernst meint mit dem Fernsehen, ist im kulturindustriellen Unterhaltungsspektakel TV hierzulande oft nicht sofort ersichtlich. Bei manchen offenbaren sich Herzblut und Leidenschaft indes auf den ersten Blick: Einer davon ist Oliver Kalkofe, der seit 30 Jahren zugleich als größter Fan und strengster Kritiker des Mediums gilt. In seiner "Mattscheibe" zelebrierte und zerlegte der Satiriker genüsslich den überbordenden Quatsch, der täglich über die Bildschirme flimmerte. Vor fast zehn Jahren dann tat sich der heute 56-Jährige mit einem zusammen, der das Fernsehen nicht minder verehrt - und ebenso dagegen auszuteilen versteht: Peter Rütten, 59, Schauspieler und unter anderem einstiger Chefautor der "Harald Schmidt Show". Gemeinsam beweisen Kalkofe und Rütten seit 2013 im liebevoll inszenierten und familiär im Berliner Studio produzierten Format "SchleFaZ", wie wichtig ihnen gute Fernsehunterhaltung auch heute noch ist. Nach den "Schlechtesten Filmen aller Zeiten" widmet sich das Duo im Ableger "KulFaZ" (ab Freitag, 10. Juni, 20.15 Uhr auf Tele 5) nun den kultigsten Streifen.

teleschau: Eine ernste Frage zu Beginn: Wie viele Gedanken machen Sie sich über die Angemessenheit von Humor und Entertainment in Zeiten des Krieges?

Oliver Kalkofe: Das Thema habe ich bei meiner Rede auf einer Antikriegskundgebung im März in Berlin angeschnitten. Darüber machen wir uns alle Gedanken: Wie gehst du mit Humor um in Krisenzeiten? Wenn es den Menschen schlecht geht, nach Terroranschlägen oder eben jetzt im Krieg? Mir war immer wichtig: Humor gehört zum Leben dazu. Wir müssen alles tun, den anderen helfen, aber auch gleichzeitig unser Leben aufrechterhalten. Humor hilft dabei ganz enorm, einerseits um Probleme zu verarbeiten, aber auch um sie besser zu verstehen.

teleschau: Sind die aktuell geführten öffentlichen Debatten zwischen Prominenten hilfreich?

Kalkofe: Selbst wenn ich nicht die Welt dadurch verändere, wenn ich als Prominenter meine Meinung äußere - oft ist es einfach hilfreich, wenn jemand sich bemüht, differenzierte Gefühle und Gedanken zu einer Situation zusammenzufassen und zu artikulieren. Das versuche ich ab und zu. Ziemlich erschreckend finde ich gerade allerdings die vielen Nebenschauplätze, auf denen sich Leute darüber streiten, wessen Meinung warum gerade die richtigste ist. Wenn da selbst ernannte Intellektuelle sich mit offenen Briefen duellieren, ist das eine ziemlich absurde Geschichte. Das lenkt von den wirklichen Problemen ab und hilft keinem weiter. Und dagegen müssen Humor und Satire angehen.

Peter Rütten: Schon vor Corona haben wir verlernt, wie "Debatte" sich eigentlich definiert. Eine zu behaupten, heißt noch nicht, eine geführt zu haben. Auf Augenhöhe die Meinung des Gegenübers in seine eigene Meinung mit einfließen zu lassen, bevor man sie bewertet. Dieses Ping-Pong-Spiel der Meinungsträger in den Politmagazinen hilft mir relativ selten darüber hinweg, dass ich Putin für immer in eine geschlossene Psychiatrie einweisen würde.

Kalkofe: Wenn noch einer das Wort "Debatte" sagt, möchte man inzwischen fast zuschlagen, so sehr wird der Begriff überreizt! Ich würde aber sagen, dass genau das in Sendungen wie zum Beispiel "Lanz" derzeit gut funktioniert. Es gibt natürlich auch Formate, in denen boulevardesk lieber nur gegeneinander gestritten wird - ohne jeden Erkenntnisgewinn. Das bringt uns allen eher wenig.

teleschau: Macht das deutsche Fernsehen seit Beginn des Krieges aus Ihrer Sicht eine gute Arbeit?

Kalkofe: Ich schaue aktuell von "Lanz" bis "Maischberger" alles, was an Informationssendungen läuft - auch wenn ich derzeit keine "Mattscheibe" drehe. Du kannst nur versuchen, den Menschen eine gewisse Aufklärung zu bieten, ohne sie zu überfordern. Man muss aufklären, ohne zu verängstigen - und berichten, was wirklich vor sich geht, damit die Leute nicht auf Fake News hereinfallen. Es ist eine verdammt schwierige Zeit. Angesichts dessen bemühen sich gerade alle Sender, es so gut wie möglich zu machen.

teleschau: Hilft es, wenn Unterhaltungssendungen und Satireformate vorsichtiger werden?

Kalkofe: Man kann nicht das komplette Leben beenden und auf Zwangstrauer umstellen. Die Trauer muss jeder selbst verwalten. Angst vor einem Weltkrieg etwa hilft niemandem. Man muss vernünftig bleiben, zuhören. Für das Fernsehen ist es eine verdammt beschissene Situation - du kannst nur alles falsch machen.

Rütten: Ich würde sagen, Humor kann die Folgen der Dauerbeschäftigung mit dem Krieg therapieren. Das Unbehagen, das über uns alle hereingebrochen ist, aber auch stärkere Gefühle wie Traurigkeit und Wut. Das hat schon immer zusammengehört. Nach 9/11 haben wir bei der "Harald Schmidt Show" für eine Woche ausgesetzt, weil wir das wöchentliche politische und Boulevard-Geschehen angesichts des Unvorstellbaren ausnahmsweise nicht begleiten wollten. Was ich aber nun mit Blick auf den Krieg feststelle: Der Eskapismus ins Schöngeistige ist wichtig. Man sollte sich den Eskapismus erhalten - in Konzerte und Lesungen gehen, gute Unterhaltung konsumieren. Wir wollen auch unsere Formate "SchleFaZ" und "KulFaZ" nun nicht wegen einer "Trauerzeit" pausieren.

Abonniere doch jetzt unseren Newsletter.

Abonniere doch jetzt unseren Newsletter
Mit Anklicken des Anmeldebuttons willige ich ein, dass mir die teleschau GmbH den von mir ausgewählten Newsletter per E-Mail zusenden darf. Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und kann den Newsletter jederzeit kostenlos abbestellen.

"Die meisten Kultfilme findest du in den 80er-Jahren"

teleschau: Aktuell sind Sie bei Tele 5 mit Ihrem "SchleFaZ"-Ableger "KulFaZ" zu sehen. Wie würden Sie den häufig strapazierten Begriff "Kultfilm" denn definieren?

Kalkofe: "Kultfilm" ist ein wirklich sehr inflationärer und häufig falsch angewandter Begriff. Für mich ist ein Film ein "Kultfilm", wenn eine große Gruppe von Menschen ein kollektives positives Erinnerungserlebnis mit bestimmten Filmen verbindet, über den man sich über einzelne Bilder oder Zitate verständigen kann. Es muss kein Blockbuster oder Riesenerfolg gewesen sein, und nicht jeder muss den Film mögen. Manchmal kommt der Erfolg auch erst viel später. Wichtig ist: Der Film war für viele Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas ganz Besonderes.

Rütten: Ich würde anfügen: Ein Film, der etwas Besonderes geblieben ist. Eine gewisse Haltbarkeit gehört eben auch dazu: Du kannst erst in den Kultpalast einziehen, wenn du 10, 15 Jahre auf dem Buckel hast. Es geht um Identitätsstiftendes aus der eigenen Jugend. Ein Beispiel ist das Gemeinschaftserlebnis "La Boum" aus der Pubertät, das im kollektiven Gedächtnis haften geblieben ist.

teleschau: Nun treffen viele dieser Eigenschaften ja auch auf viele "SchleFaZ"-Filme zu. Was ist der wesentliche Unterschied?

Kalkofe: Viele der "SchleFaZ"-Filme, etwa "Masters of the Universe" oder "Super Mario Bros.", würden von vielen auch als Kultfilme bezeichnet werden. Trotz alledem kann man danach aber sagen: Mag sein, aber sie waren auch vor allem sehr, sehr schlecht (lacht)! Ein anderes Beispiel ist "Flash Gordon", den wir früher fast einmal als "SchleFaZ" eingeordnet hätten, aber dafür ist er einfach viel zu gut! Er ist absurd und teilweise auch missglückt, aber keineswegs schlecht. Der überdrehte Camp-Humor hat viele Menschen einfach überfordert, es gibt viele Gründe den Film abzulehnen, aber auch zu lieben und zu feiern. Das macht ihn zum "KulFaZ". So wie auch "Dirty Dancing", selbst wenn wir beide den nicht wirklich mögen. Wir wollen aber herausbekommen, warum viele Leute diese Filme mochten und ob wir sie auch mögen können, wenn wir uns Mühe geben, deshalb gehen wir an alle Filme mit Respekt heran. Kurz gesagt: Bei "SchleFaZ" mussten wir dafür sorgen, dass du einen Film aushältst, den du freiwillig nicht schauen würdest. Bei "KulFaZ" sind wir dafür da, einen Film besonders zu ehren und zu feiern: Communityfeeling plus spannende Infos, um einen Film noch einmal bewusst und vielleicht mit ganz neuen Augen zu sehen.

teleschau: Oft wird man ja enttäuscht, wenn man nostalgisch verklärte Filme nochmals schaut ...

Kalkofe: Ja, man war damals im Kino und wollte ganz einfach Spaß haben - und wenn der Film Scheiße war, wollte man das oft nicht wahrhaben. Darum kümmern wir uns dann bei "SchleFaZ". Bei "KulFaZ" wollen wir Filme, die wir in guter Erinnerung haben, trotzdem überprüfen - auf Kultfaktor, Funfaktor und Zeitlosigkeit - um zu schauen, ob ein Film auch heute noch jenseits von Nostalgie funktioniert. Und am Ende war es so, dass uns die meisten Filme im Vergleich zu damals sogar mehr Spaß machten, nachdem wir uns nun tiefer mit ihnen beschäftigt hatten.

Rütten: Bei "Flash Gordon" etwa war ich damals eher enttäuscht, weil ich eine Weltraumoper à la "Star Wars" erwartet hatte. Dabei ist der quietschbunt und humorvoll. Heute macht er mehr Spaß, weil man den Humor versteht - und weil der Film zeitlos und gut gealtert ist.

teleschau: Wenn man die Filmauswahl so anschaut: Ist das auch eine Generationenfrage?

Kalkofe: Dass viele davon aus den 80er-Jahren stammen, war einerseits Zufall. Da wollen wir, sollte es weitergehen, auch vielfältiger werden. Ohne Frage hast du auch in den letzten 20 Jahren Kultfilme - aber die sind oft auch Massenkult. Ich glaube, die meisten Kultfilme findest du in den 80er-Jahren - es war einfach ein besonderes Kinojahrzehnt.

Rütten: Das hängt auch damit zusammen, dass sich damals in den Kinos eine viel größere Variation als in anderen Jahrzehnten fand. Spätestens seit dem Erfolg der Streamingdienste war ja die Frage, was fürs Kino überhaupt noch produziert werden kann, um an die Klientel heranzukommen. Heute geht man gleich mit dem Kult-Prädikat hausieren - und die Zuschauer wissen oft gleich, wie sie sich dazu verhalten müssen, wenn sie dazugehören möchten.

Kalkofe: Wir besprechen ja Filme, bei denen man überhaupt nicht davon ausging, dass sie Kult werden würden. Daher sind die Sachen, die vor 2000 produziert wurden, spannender zu besprechen. Heutzutage sind die Filme von "Herr der Ringe" bis Marvel so gut durchdacht, dass du dahinter kaum mehr spannende und irrwitzige Entstehungsgeschichten findest.

"Fernsehsender gehören wie Fußballvereine vor allem Investmentgruppen"

teleschau: Als "Kult" bezeichnet man auch jene Fernsehformate von "TV Total" bis "Der Preis ist heiß", die derzeit im deutschen TV ihr Revival feiern. Was sagt das über unsere Fernsehlandschaft aus?

Kalkofe: Ich halte das größtenteils für keine gute Entwicklung. So sehr ich auch ein Freund von guten, gezielten kleinen Retro-Momenten bin und auch eine jährliche "Wetten, dass ..?"-Show absolut okay finde, wo sich noch einmal das gesamte Publikum von damals versammelt. Ich verstehe aber nicht, warum man nur so selten in der Lage ist, bei Retro die Fehler und den Muff von früher zu beseitigen und die Formate angemessen zu aktualisieren. Am besten noch, während sie erfolgreich laufen, dann müsste man sie gar nicht absetzen. Gerade scheint es mir, man würde einfach versuchen, auf dem Friedhof alles auszubuddeln, wo man mit der Schaufel noch rankommt - und das verweste Skelett dann 1:1 wieder vor die Kamera zu stellen, ohne die Leiche wenigstens nochmal ein wenig hübsch zu schminken. Wenn gerade behauptet wird, dass mit "Der Preis ist heiß" ein Kultformat zurückkehrt - dann stimmt das einfach nicht.

teleschau: Inwiefern?

Kalkofe: "Der Preis ist heiß" war nie Kult. "Der Preis ist heiß" war nie gut. Der war immer scheiße. Aber es lief trotzdem, sehr lange und quotentechnisch erfolgreich. Aber das ist der Unterschied: Es lief zwar jeden Tag, und es gibt eine gemeinsame Erinnerung daran. Aber es war und ist nie ein Kult-Erlebnis. Hier wird der Begriff inflationär und falsch benutzt. Auch bei "TV Total" wurde ich sehr enttäuscht. Ich hatte mich wirklich gefreut und mag auch Sebastian Pufpaff sehr gerne. Aber die Auseinandersetzung mit Fernsehen und Medien wurde nicht an die Gegenwart angepasst. Im Gegenteil: Es gibt 1:1 die Witze und Rubriken von damals, der Humor ist in den 90-ern stehen geblieben. Das wirkt komplett aus der Zeit gefallen und passt heute nicht mehr. Anders als bei "Geh aufs Ganze". Die Spielidee mit dem Zonk ist simpel und kann zeitlos variiert werden.

Rütten: Die Innovationsraten der Privatsender empfand man in den 90er-Jahren als mit frischem Wind behaftet. Heute stellt sich die Frage: Was machen die statt Innovation? Wollen die nichts mehr entdecken, was nicht direkt Millionen Zuschauer garantiert? Sind die so eingeengt?

Kalkofe: Da passiert leider wenig Neues. Aber es gibt auch positive Entwicklungen - wenn man sich etwa die Sachen von Joko und Klaas bei ProSieben anschaut. Das sind innovative, coole und zeitgemäße neue Formate. Da arbeiten Leute, die echten Spaß am Fernsehen haben. Gleichzeitig entstehen aber auch viele seltsame neue Shows ohne Herz oder Charakter, die entstehen auf dem Reißbrett nach Parametern aus der Marktforschung, laufen dreimal, werden still und leise abgesetzt, aber niemand realisiert es oder ist traurig, weil sie halt mittelmäßig bis kacke waren. Wenn niemand für ein Format brennt und mit Leidenschaft daran glaubt, kann es auch nichts Besonderes werden, das war schon immer so.

Rütten: Die Sender wollen eine Refinanzierung von allem schaffen, was sie nicht finanziert bekommen. Daran sieht man wieder: Fernsehsender gehören wie Fußballvereine vor allem Investmentgruppen.

teleschau: Sind Sie in den 90er-Jahren mit der Überzeugung angetreten, das Fernsehen verbessern zu können?

Kalkofe: Ja klar! Wobei ich gar nicht gedacht habe, dass ich es auch wirklich besser machen will oder kann, sondern ich habe es einfach gemacht. In einer Zeit, als alles gleichförmig und spießig war, lautete der Gedanke: Ich versuche einfach mal etwas, das kein anderer macht! Das war nicht immer qualitativ super, aber ich hatte ehrliche Freude daran und viele Leute haben darüber gelacht. Daraus entwickelte sich eine Eigendynamik. Erst später bekam ich mit, was ich eigentlich richtig oder falsch gemacht habe. Zum Glück war ich damals sehr naiv - sonst hätte es vielleicht gar nicht funktioniert.

Rütten: Es ging damals auch darum, zu erkennen, was man lieber nicht machen will. Dieser Lernprozess gemeinsam mit Leuten, mit denen man gern zusammenarbeitete. Das war in dem Moment, als es für mich ein Berufsbild wurde, schon mit sehr viel Hoffnung verbunden. Wie in einer Art "Beatles"-Phase, in der man die schlechteren Songs verwirft und eine Sache einfach richtig gut macht. Und, ganz wichtig: dass es, schon während man es herstellt, Spaß macht. Heute sind diese Selbstkritik und Selbstzweifel bei den Sendern und Produktionsfirmen leider komplett aus der Mode gekommen: sich für beherzten Unsinn und Scheiße, die man den Leuten vorsetzt, zu schämen.

"Dieser Voyeurismus wurde unkritisch gefördert"

teleschau: Gibt es Lichtblicke nur in einer Nische wie der Ihren - oder darf man auch angesichts der jungen Generation und der Streamingdienste hoffen?

Rütten: Ich glaube, die neue Generation bricht mit ihrer angelsächsisch-satirischen Denke und Originalität durchaus raab'sche Formatsideen auf. Aber repräsentiert wird das eben nur durch wenige Vertreter wie Joko und Klaas oder Jan Böhmermann. Hingegen ist sehr viel der konventionellen Machart und Hasenfüßigkeit hinzugekommen. Ein Kernmoment ist: Wir haben früher auch kritisch Fernsehen geguckt, auch in den Redaktionen. Man wusste, wo man stand. Boulevard war Boulevard - heute gibt es da eine Vermischung. Das begann, als sich die linksintellektuelle Presse damit anfreundete, dass das "Dschungelcamp" ein hervorragend produziertes Format ist. Und dass man mit den Promis aus der Hölle ein guilty pleasure haben darf. Wenn das durch alle Schichten erfolgreich ist und wir das wirklich schauen und verfolgen - dann darf man sich nicht wundern, wenn inhaltlich bemühtere Sachen keinen Sensationseffekt mehr erfüllen. Dieser Voyeurismus wurde unkritisch gefördert. Und deshalb können sich junge Talente nur in der Nische austoben.

Kalkofe: Wirkliche Innovationen können eigentlich nur in der Nische entstehen. Große Medien sind auf Erfolg ausgerichtet. Und je größer das Medium, desto mehr Menschen arbeiten daran, desto schneller muss jede Neuigkeit auch gleich als Hit funktionieren. Da ist es kaum möglich, etwas auszuprobieren - und auch mal zu scheitern. Deshalb werden wir im Free-TV auf den großen Sendern selten echte Innovationen erleben. Joko und Klaas sind ein seltenes Beispiel, und auch die haben es sich erst erkämpfen müssen, so viel ausprobieren zu dürfen. So wie auch Böhmermann - und auch das ist ein Format, dessen Konstrukt schon in den USA und in England existiert. Bei den meisten Sendern wird meist das gemacht, was anderswo schon erfolgreich war, dann trägt man beim Misserfolg selbst keine wirkliche Schuld daran, sondern nur das deutsche Publikum. Neues gibt es deshalb meist nur in der Nische. Und: Ein Format wie "SchleFaZ" oder "KulFaZ" wäre auf einem großen Sender eben auch kein großer Erfolg - auf einem kleineren Sender aber durchaus!

teleschau: Wie sieht es mit dem Erfolg der Streamingdienste aus?

Kalkofe: Selbst Streaming war anfangs Nische und eine Art Luxus, heute ist es Alltag und langsam schon wieder Mainstream. Bei den ersten Serien auf Netflix oder Amazon Prime konnte man fast sicher sein, dass die Qualität hoch und der Inhalt innovativ war - aber inzwischen überwiegt auch auf den Streamingkanälen das Mittelmaß, und es läuft jede Menge Müll, weil einfach zu schnell zu viel angeboten werden muss. Das ist mittlerweile wieder ähnlich wie bei den TV-Sendern.

teleschau: Würden Sie sofort zusagen, wenn Sie Gelegenheit bekämen, für einen Streamingdienst ein Format zu machen?

Kalkofe: Ich glaube, keiner von uns würde ein gutes Angebot ablehnen, etwas Tolles machen zu können, egal wo. Ideen und Konzepte hätte ich einige, und wenn ein Sender oder Streamer an eine Idee glaubt und auch bereit ist, die Entwicklung zu finanzieren, wäre das großartig. Nur leider habe ich schon zu oft erlebt, dass man selbst viel Energie und Leidenschaft in ein Projekt steckt, all die Vorarbeit macht, und am Ende wird dann doch wieder ängstlich alles abgesagt. Das macht auf Dauer weder Freude noch Sinn.

teleschau: Haben Sie im Zuge der großen Promishows auch größere Engagements und Angebote abgesagt?

Rütten: Sowohl vor und hinter der Kamera habe ich all diese Formate abgesagt. Ob das nun Promi-Minigolf oder Promi-Big-Brother war. Das hätte nichts gebracht - ich musste denen aber auch manchmal erklären, dass das nichts bringt. Im Rahmen meiner Semipopularität durch die "Harald Schmidt Show" gab es auch Angebote als Quizmaster. Da ich mich aber gar nicht als konventionellen Moderator sehe und völlig überfordert bin, wenn ich als Kunstfigur nicht die Rolle brechen darf, habe ich auch da abgesagt.

Kalkofe: Ich musste sehr schnell lernen: Je beschissener und absurder eine Sendung ist, desto mehr Geld wird dir für die Teilnahme angeboten. Bei manchen Shows haben mir viele gesagt: Bist du bescheuert, das nicht zu machen? Aber kein Geld der Welt kann die Peinlichkeit aufwiegen, wenn man sich selbst dafür schämt. Deshalb habe ich sehr früh gesagt: Es hängt nicht vom Geld ab. Ich möchte für das, was ich mache, fair bezahlt werden - aber ich mache nur Sachen, an die ich irgendwie auch glaube. Da kannst du auch scheitern, aber musst dich danach nicht schämen!

Das könnte dir auch gefallen


Trending auf SWYRL