Comedienne Ariane Alter im Interview

"Man muss lernen, das zu lieben, was man im Spiegel sieht"

25.10.2020 von SWYRL/Sarah Kohlberger

Moderatorin Ariane Alter nimmt kein Blatt vor den Mund - und diskutiert in ihrer neuen Late-Night-Show "Late Night Alter" auf ZDFneo mit Witz und Ernsthaftigkeit gleichermaßen über relevante Themen. Im Interview spricht sie über Feminismus und darüber, wie verklemmt Deutschland eigentlich ist.

Diversität, Gender, Paygap, Gentrifizierung oder Klimawandel - solche relevanten Themen will Moderatorin Ariane Alter in ihrer neuen Late-Night-Show "Late Night Alter" auf unterhaltsame Art und Weise mit ihren Studiogästen diskutieren. Ab Donnerstag, 29. Oktober, 22.15 Uhr, bezieht sie dabei Stellung zu aktuellen Geschehnissen und Entwicklungen, und präsentiert einen Mix aus Ernsthaftigkeit und Witz - auf ZDFneo. Sie übernimmt den alten Sendeplatz von Satiriker Jan Böhmermann und dessen Magazin "Neo Magazin Royale". Aber ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen überhaupt die richtige Plattform für ihre Zielgruppe, die vor allem aus 25- bis 39-Jährigen besteht? Und was denkt die authentische 34-Jährige, die seit 2017 den Podcast "Im Namen der Hose" moderiert, über die Verklemmtheit der Deutschen? Im Interview verrät die "Quasselstrippe", was sie über modernen Feminismus denkt, welche Komikerinnen ihre Vorbilder sind und ob es bei ihr privat auch mal ruhige Minuten gibt.

teleschau: Was ist für Sie moderner Feminismus?

Ariane Alter: Wir wollen alle in einer gleichberechtigten Welt leben, und jeder kann dafür was tun. Männer können ein bisschen mehr Raum machen, Frauen können den Mut und die Energie entwickeln, diesen Raum zu füllen. Wenn wir das alles zusammenwerfen, kann auch mal ein Mann zu Hause bleiben und sein Kind aufwachsen sehen, ohne schief angeschaut zu werden. Auch viele Männer haben ein riesiges Problem: Sie stecken oft in dem Denken "Ich muss leisten", "Ich muss toll sein" oder "Mein Kollege hat ein besseres Auto".

teleschau: Sind diese Strukturen nicht schon ziemlich aufgeweicht?

Alter: Ja, aber es geht noch mehr: Solange stark und männlich sowie zart und weiblich noch Synonyme sind, haben wir noch einiges zu tun. Das wäre für beide Geschlechter sehr hilfreich. Das Problem an Feminismus ist das Wort, das ist etwas schlecht gewählt. Das klingt wie "alle für die Frauen" und "alle gegen die Männer", aber so ist es eigentlich nicht.

teleschau: Wie sieht nun eine "feministische" Late-Night-Show aus?

Alter: Es steht eine Frau auf der Bühne (lacht). Und das liegt nicht daran, dass Männer schlechter sind, sondern daran, dass das auch eine Option ist. Wenn Late-Night-Themen durch die Augen einer Frau erfahrbar gemacht werden, können daraus ganz andere, sehr schöne und interessante Gespräche entstehen als durch männliche Late-Night-Talker. Es gibt den Spruch: "No uterus, no opinion" - manche Dinge können nur Frauen sehen, weil Frauen das erleben.

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"Aus meiner Sicht ist Journalismus ein weibliches Gebiet"

teleschau: Gibt es denn inzwischen mehr weibliche Kreative im öffentlich-rechtlichen Fernsehen?

Alter: Ich habe das Gefühl, am Ende der Fahnenstange sitzt meist ein Mann, aber es wird schon darauf geachtet, dass mehr Frauen eingestellt werden. Aus meiner Sicht ist Journalismus ein weibliches Gebiet, aber da bin ich vielleicht auch in meiner Blase und kriege es nicht so mit, dass es so wenig Frauen gibt. Wenn man mit einem Team dreht, merkt man es eher: Der Produktionsleiter ist meistens männlich, genauso wie es der Kameramann oder auch die Ton- und Lichtmänner sind.

teleschau: Wie verhält es sich in Ihrer Late-Night-Show?

Alter: Wir achten darauf, dass viele Frauen da sind, und versuchen andererseits, Männer nicht auszuschließen, und dass ein gewisses Maß an Diversität herrscht. Ich finde, es gibt nichts Schlimmeres, wenn ich als deutscher, weißer Mensch über "Black Lives Matter" referiere, und darüber, wie ich das sehe und finde. Da ist man sehr gut beraten, wenn man die Leute vorlässt, die tatsächlich Erfahrung damit haben. Ebenso verhält es sich mit Homosexualität oder Religion.

teleschau: Bisher waren Sie vor allem auf digitalen Kanälen zu sehen. Erreichen Sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen überhaupt Ihre junge, hippe Zielgruppe?

Alter: Mir ist sehr wichtig, dass die Sendung auch in der Mediathek läuft. Natürlich ist meine Community digital, und auch die Zielgruppe ist tendenziell in Mediatheken, Streamingdiensten oder auf YouTube unterwegs. Ich finde es schön, das lineare Fernsehen einzuschalten und nicht zu wissen, was kommt. Das ist ein bisschen wie Kino, ich muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Allerdings ist es luxuriös zu wissen, dass wenn meine Freundin anruft und eine halbe Stunde mit mir telefoniert, ich mir die Sendung später in der Mediathek anschauen kann.

teleschau: Wann haben Sie gemerkt, dass sie ein Talent zum Komischen haben?

Alter: Ich war schon immer komisch, aber mein Vater ist zuerst komisch gewesen. Daher bin ich in einem eher komischen Haushalt aufgewachsen. Wenn die Mutter "Sissi" im Fernsehen guckt und man anfängt mit "Sissi! Franzl!", dann war das normal. Nach meinem Abitur wurde mir geraten: "Ariane, geh in die Medien, das wäre sonst verschenkt." Anscheinend war ich etwas witziger als andere Menschen. Aber es gab keinen Punkt, an dem ich dachte: "Ah, ich bin ja wahnsinnig witzig."

"Es war toll zu sehen, dass es eine Frau im Fernsehen gibt, die nicht 90-60-90 hat"

teleschau: Gab es also nie den Berufswunsch, eine witzige Moderatorin zu sein?

Alter: Doch, das gab es schon. Ich hatte zwischendurch mal Flausen im Kopf und wollte Herzchirurgin werden. Aber eigentlich wollte ich schon immer in die komische Richtung. Ich fand früher Otto Waalkes super, und wollte mit fünf Jahren seine Nachfolgerin werden. Ich fragte meine Mutter, ob das geht, denn damals hatte man als kleines Mädchen keine Vorbilder. Ich war überrascht, als Helga Hahnemann irgendwann über die Mattscheibe flimmerte. "Ach so, das geht auch? Aha", dachte ich. Es war toll zu sehen, dass es eine Frau im Fernsehen gibt, die nicht 90-60-90 hat.

teleschau: Hatten Sie außer Helga Hahnemann noch weitere Vorbilder?

Alter: Anke Engelke fand ich wahnsinnig gut. Ich finde sie immer noch gut, es ist beeindruckend, welche Karriere diese Frau hingelegt hat. Hier und da wird mir unterstellt, dass meine Arbeit unstetig ist - ein Podcast über Sexualität, ein Challenge-Format, Journalismus, früher Gaming- und Musik-Fernsehen ... Aber gerade das finde ich spannend, und das habe ich ein bisschen von Anke Engelke abgeguckt. Barbara Schöneberger ist auch eine sehr bemerkenswerte Frau.

teleschau: Wie viel Vorurteil begegnet Ihnen noch als "witzige Frau"?

Alter: Ich glaube, dass ich anecke, weil ich lauter bin. Es ist für viele Menschen eigenartig, dass ich offen bin und mir viel zutraue, aber auch trotzdem hier und da ein figurbetontes Kleid mit Ausschnitt trage. Ich habe das Gefühl, für manche passen das Bild und der Charakter nicht zusammen. Wenn jemand sagt: "Die Ari ist schon sehr laut", dann hört man der Stimme an, ob das jetzt wertfrei ist oder nicht. Dass ein Kollege solche Attribute kriegt, habe ich noch nicht gehört.

teleschau: Sie beerben den Sendeplatz von Jan Böhmermann. Ist sein Werdegang ein Vorbild für Sie?

Alter: Sicherlich. Er ist insofern Vorbild, weil ich gut finde, was er macht, weil das aufzeigt, wo wir überhaupt stehen. Allerdings geht er manchmal schon sehr weit, ich weiß nicht, ob man so in die Vollen gehen muss. Da ist Anke Engelke schon mehr Vorbild für mich, weil ich mich mehr mit ihr identifizieren kann. Vielleicht bin ich da ein bisschen von gestern, aber ich finde das, was Anke Engelke macht, ist nachhaltiger, als alles was Jan Böhmermann macht.

"Man muss lernen, das zu lieben, was man da im Spiegel sieht"

teleschau: In Ihrem Podcast "Im Namen der Hose" sprechen Sie recht ungeniert auch über heikle Themen. Wie verklemmt ist Deutschland?

Alter: Sehr verklemmt. Ich möchte fast sagen verkappt, vor allem dieses "Oh Gott, sie hat Vagina gesagt!" Dass Wörter wie Vagina oder Penis Tabuwörter sind, ist aber fast das kleinste Problem. Es ist viel schlimmer, dass unser Körper so eine Tabuzone ist. Das versuchen wir mit unserem Podcast aufzubrechen. Wir merken, dass das Thema in einer medial dominierten Welt wahnsinnig schwer ist.

teleschau: Was genau meinen Sie?

Alter: Für viele ist es schwer zu verstehen, was bearbeitet oder echt ist. Man muss lernen, das zu lieben, was man da im Spiegel sieht. Was mein Körper mir gibt und was er mir möglich macht, ist eine gute Sache, und ihn dafür zu sanktionieren, dass er Cellulite bekommt, ist einfach blöd, denn ohne würden wir in einer Schwangerschaft zerreißen. Wir brauchen das. Ein bisschen mehr Dankbarkeit gegenüber dem Körper wäre gut. Wir kriegen viele Nachrichten, besonders von jungen Frauen, die sagen: "Durch euch haben wir gelernt, unseren Körper anzunehmen."

teleschau: So eine tolle Bestätigung der eigenen Arbeit tut gut, oder?

Alter: Klar! Eine Nachricht hat mich besonders gefreut: Im Podcast ging es damals um Vulven, die mannigfaltig ausschauen können, es gibt nicht die pornogeprägte Vulva, die aussieht wie ein Brötchen. Eine junge Frau, etwa 20 Jahre alt, hat erzählt, sie habe sich immer sehr für ihre Vulva geschämt. Sie war fest davon überzeugt, dass diese so hässlich und lächerlich aussehe, dass der Gynäkologe sie auslachen würde. Als sie unsere Folge gehört hat, wusste sie, dass sie normal ist und hat ihren ersten Termin vereinbart. Das kann doch nicht wahr sein! Es gibt viele Themen im Podcast, wo ich überlege, ob ich wirklich darüber reden soll, aber wenn ich solche Mails lese, weiß ich: Ja, wir müssen darüber reden. Dafür nehme ich auch in Kauf, dass ich Dinge von mir preisgebe.

teleschau: Solche Überzeugungen werden wohl auch durch die sozialen Medien befeuert ...

Alter: Es müsste mehr reguliert werden. Vor allem in der Schule sollte erklärt werden, dass in den sozialen Medien vieles gephotoshopt ist. Das Gehirn kann nicht separieren zwischen einem fiktiven Menschen auf einem Werbeplakat, der perfektioniert wurde, und einem realen Menschen. Daher fände ich es gut, wenn diese Filter und dieser Photoshop-Wahn nicht durchgezogen werden dürfte. Es gab in Frankreich mal die Idee, dass man keine bearbeiteten Werbeplakate mehr aufhängen darf. Das fand ich prima! Am Anfang ist das bestimmt nicht schön - wenn man gewöhnt ist, dass Gisele Bündchen mit ihren 40 Jahren keine Orangenhaut und keinen Pickel am Körper hat, müssten wir erst mal lernen, in die Fratze der Wahrheit zu schauen. Das wäre vielleicht in der ersten Zeit ein bisschen irritierend, aber langfristig für uns alle besser.

"Ich bin ruhiger, als so manche glauben"

teleschau: Wenn Sie so offen über gesellschaftspolitische Themen sprechen, erreichen Sie bestimmt auch viel Gegenwind. Wie reagieren Sie darauf?

Alter: Ich bin anscheinend in einer sehr netten Community beheimatet, ich kriege nicht so viel negative Resonanz. Wenn es Kritik gibt, bin ich offen, ich bin schließlich nicht perfekt. Konstruktive Kritik ist auch hilfreich. Wenn es beleidigend wird, finde ich das schlecht, aber auch fast amüsierend. Wenn mich jemand beleidigt, denke ich mir: Der Mensch hat diese Podcast-Folge gehört, die er blöd findet. Mein Reflex wäre ja, abzuschalten, aber gut, soll er machen, was er will. Dann googelt er, wohin er eine E-Mail schreiben kann, dann überlegt er, wie ich noch mal heiße und was alles an mir falsch ist, und das schickt er dann ab. Das dauert mindestens eine viertel Stunde. Das muss Liebe sein! Dass er sich so viel Zeit für mich nimmt, nehme ich fast ein bisschen als Kompliment.

teleschau: Gibt es keine Kritik, die Sie ärgert?

Alter: Oh doch. Bei "Gute Nacht Alter" war mal Esra Karakaya zu Gast, eine Hijab-Trägerin. Da meldeten sich schnell rechte Trolle in der Kommentarspalte, und so was nervt mich richtig. Esra hat sogar Morddrohungen gekriegt, wegen einem kleinen Stück Stoff! Das muss man sich mal vorstellen. Wenn ich das kunstvoll um meinen Kopf binde, und einen Zopf raushängen lasse, denken alle, wie schön das aussieht. Wenn Esra es sich komplett um die Birne wickelt, und sich damit einfach gut fühlt, dann ist das ein riesen Thema. So was macht mich sauer. Das ist ja nicht mehr Langweile, das ist rechts, und das ist sch...

teleschau: Sie gelten als "Quasselstrippe". Gibt es bei Ihnen zu Hause auch mal ruhige Minuten?

Alter: Ja klar! Ich glaube, ich bin ruhiger, als so manche glauben. Ich gucke gerade "Friends", da halte ich schon mal gerne die Klappe. Ich schlafe auch sehr gerne ein. Sobald ich auf einem Sofa oder vor einem Film sitze, bin ich am Schlafen und damit sehr ruhig.

teleschau: Seit 2014 stellen Sie sich in dem beliebten YouTube-Format "Das schaffst du nie!" verrückten und teilweise auch gefährlichen Aufgaben. Haben Sie noch vor irgendwas Angst?

Alter: Ja, vor Geburten von Kindern. Deswegen lasse ich das noch ein bisschen länger auf mich zukommen. Ich glaube, ich habe genauso viel Angst wie jeder andere, ich mache es dann halt nur. Ich denke mir zum Beispiel, wenn ich wo runterspringe, dass das maximal zehn Sekunden sind, in denen ich mich nicht gut fühle. Die Challenges sind inzwischen so oft gutgegangen, selbst als man dachte, die hätten richtig schiefgehen können. Und wenn man öfter Dinge macht, die einem Angst machen, lernt man, dass es eigentlich nicht so schlimm ist, dann wird man mutiger.

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