Nina Hoger im Interview

"Man darf keine Angst haben, sondern muss es einfach machen"

02.10.2021 von SWYRL/Elisa Eberle

In dem ZDF-Film "Zurück ans Meer" (Montag, 4. Oktober, 20.15 Uhr) spielt Nina Hoger eine Frau, die 22 Jahre nach ihrer Entführung hochgradig traumatisiert ist. Warum diese schwierige Rolle ihr dennoch Spaß gemacht hat, verrät die 60-Jährige im Interview.

Dass eine auffällige Ähnlichkeit zur eigenen Mutter nicht immer von Vorteil ist, davon können vermutlich einige junge Frauen ein Lied singen. Doch weitaus schwieriger dürfte diese Erfahrung Nina Hoger gewesen sein: Vor allem in den Anfangsjahren ihrer Karriere wurde die inzwischen 60-Jährige wieder und wieder mit ihrer Mutter, der Schauspielerin Hannelore Hoger (80, "Bella Block"), verglichen. Nun, mehr als zehn Jahre nach ihrem gemeinsamen Film "Vier Meerjungfrauen - Eine stürmische Bescherung" (2007), stehen beide wieder vor einer Kamera: In dem ZDF-Thriller "Zurück ans Meer" (Montag, 4. Oktober, 20.15 Uhr) spielt Nina Hoger die Figur Mara Breuer, die vor mehr als 20 Jahren entführt wurde. Sie wie auch ihre Mutter Charlotte (Hannelore Hoger) leiden bis heute unter den traumatischen Ereignissen von damals. Ist es von Vorteil, eine derart schwierige Rolle zusammen mit der eigenen Mutter anstelle einer fremden Kollegin zu spielen? Und wie denkt Nina Hoger heute über die Vergleiche mit ihrer Mutter von damals? Diese und weitere Fragen beantwortet die gebürtige Hamburgerin im Interview.

teleschau: Zum ersten Mal seit über zehn Jahren standen Sie wieder zusammen mit Ihrer Mutter Hannelore Hoger vor der Kamera. Wie war es, nach so langer Zeit gemeinsam zu drehen?

Hannelore Hoger: Es fühlt sich gut an! Es ist schön, weil das Drehbuch für uns geschrieben wurde. Ein großer Dank geht da an die Produzentin Cornelia Wecker, die sehr hartnäckig war, aber auch an den Redakteur Pit Rampelt vom ZDF, der das ermöglicht hat.

teleschau: Ist Ihre enge Vertrautheit ein Vorteil für die Darstellung der nicht gerade einfachen Figuren?

Hoger: Es kann natürlich auch eine Belastung sein. Aber ich empfand es eher als hilfreich. Man hat diese Anlaufschwierigkeiten nicht: Bei anderen Dreharbeiten lernt man sein Gegenüber bestenfalls ein paar Wochen vorher kennen. Meine Mutter und ich kennen uns von Haus aus sehr gut. Aber wir erzählen in dem Film nicht unsere Geschichte. Wir spielen zwei fiktive Figuren.

teleschau: Haben Sie sich auch gemeinsam vorbereitet?

Hoger: Nein, jede bereitet sich selber vor. Aber wir sprachen während der Dreharbeiten natürlich darüber. Ich wohnte in dieser Zeit auch bei meiner Mutter. Das war sehr eng in der Zeit, aber es war auch sehr schön, und ich glaube, wir genossen es beide.

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Über die Bürde, mit Hannelore Hoger verglichen zu werden

teleschau: In der Vergangenheit sagten Sie, Sie seien es leid, als Schauspielerin ständig mit Ihrer Mutter verglichen zu werden. Hat sich das inzwischen verändert?

Hoger: Wenn man als junge Schauspielerin hört: "Ich mach aus dir eine zweite Hannelore", dann ist das nicht besonders aufbauend. Stellen Sie sich vor, alle sagen zu Ihnen: "Du siehst aus wie deine Mutter, du sprichst wie deine Mutter, du musst mindestens genauso gut werden wie deine Mutter." Mittlerweile sehe ich das gelassen: Ich liebe meine Mutter über alles. Ich bin wahnsinnig stolz auf sie! Sie ist eine der größten Schauspielerinnen, die wir in unserem Land haben. Aber ich gehe meinen eigenen Weg.

teleschau: Haben Sie sich womöglich etwas von ihr abgeschaut?

Hoger: Unbewusst macht man das vielleicht. Ich hoffe, dass ich es von ihr gelernt habe, tolerant zu sein, den Beruf als Beruf zu sehen und ernstzunehmen. Und ein großherziger Mensch zu sein, so wie sie.

"Schutz ist immer schlecht"

teleschau: Die von Ihnen dargestellte Frau wurde vor 22 Jahren entführt. Sie leidet bis heute unter dem Erlebnis, ohne sich allerdings tatsächlich daran erinnern zu können. Was unterscheidet eine solch traumatisierte Rolle von "leichteren"?

Hoger: Ich würde das weder mit "schwer" noch mit "leicht" titulieren. Es ist mein Beruf, eine andere Figur darzustellen und sie zum Leben zu erwecken. Es ist intensiv, und es ist eine Herausforderung. In dem Zusammenhang klingt es vielleicht doof, aber es machte mir auch Spaß! Denn diese Herausforderung ist das, was man sich als Schauspielerin oder Schauspieler wünscht.

teleschau: Gibt es Schutzmechanismen, um das Erzählte nicht allzu sehr an sich heranzulassen?

Hoger: Nein, denn Schutz ist immer schlecht. Man darf keine Angst haben, sondern muss es einfach machen. All das, was Mara erlebte, ist furchtbar. Ich kann da nicht einfach einen Schutzwall um mich herumbauen. Ihre fürchterlichen Erlebnisse zerstörten ihr ganzes Leben und tun es immer noch! Man kann nur hoffen, dass sie - also die Figur - es schafft, da herauszukommen und sich zu befreien. Es bedarf einer intensiven Darstellung, damit man überhaupt versteht, was es für diese Figur bedeutet.

teleschau: Relativ zu Beginn sagt die von Ihrer Mutter verkörperte Charlotte Breuer, sie wünsche sich "Heilung" für ihre Tochter. Ist dies nach diesen Erlebnissen in Ihren Augen überhaupt möglich?

Hoger: Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall schafft man es nur mit therapeutischer Hilfe. Das ist das Dilemma eines Traumas: Man kann sich nicht alleine davon befreien! Die Angst, das Ereignis wieder zu erleben, ist stärker als alles andere. Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist auch gestört: Im Grunde bräuchte auch die Mutter eine Therapie, weil sie keine Ruhe geben kann. Aus ihrer Sicht ist das natürlich absolut verständlich, denn sie möchte nur das Beste für ihre Tochter. Dieses Horrorleben der beiden kann man sich nur schwer vorstellen. Aber auch sie schafft es nicht, den Zustand zu beenden: Sie ist verbissen und verbiestert. Und das geht mit dem "Heilungsprozess" der Tochter nicht konform.

"Ich bin nicht der Typ für 'Auge um Auge, Zahn um Zahn'"

teleschau: Auf der Suche nach Heilung für Ihre Tochter geht Charlotte weit über gesetzliche Grenzen hinaus. Würden Sie oder Ihre Mutter füreinander Ähnliches tun?

Hoger: Aus der Sicht der Mutter kann ich, Nina, das schon verstehen. Mara hingegen kann das nicht verstehen. Wenn dem eigenen Kind so etwas angetan wird, dann wird man doch wahnsinnig! Da wird man wahnsinnig! Deswegen ist es klar, dass sie alle Hebel in Bewegung setzt, um die Situation zu beenden. Wenn man meiner Mutter was Böses will, dann bin ich da, natürlich! Ich bin nicht der Typ für "Auge um Auge, Zahn um Zahn", aber ich würde nicht stillhalten. Mit Sicherheit nicht!

teleschau: Die Bewältigung von Ängsten spielt in dem Film eine zentrale Rolle. Welche Urangst plagt Sie?

Hoger: Ich habe nicht einmal annähernd solche Ängste. Aber ich musste, Gott sei Dank, auch noch nicht eine traumatische Situation erleben! Ich habe keine Angst vor Spinnen. Ich schreie auch nicht hysterisch auf, wenn ich einer Maus begegne. Ich lebe auf dem Land, da kann das schon mal passieren.

teleschau: Klingt, als seien Sie sehr mutig ...

Hoger: Nö. Ich bin nicht mutig, Ich bin einfach bodenständig. Das soll auch gar nicht großkotzig klingen. Es gibt mit Sicherheit Situationen, in denen ich auch Angst hätte: Zum Beispiel, wenn ich auf der Autobahn fahre und von hinten ein anderes Auto mit 200 Stundenkilometern angerast kommt. Da denk ich mir: "Rücksichtslos. Also schnell runter vom Überholstreifen".

"Das Alter entscheidet sich nicht nach der Zahl, die im Ausweis steht"

teleschau: Im März wurden Sie 60 Jahre alt, Mitte August feierte wiederum Ihre Mutter ihren 80. Geburtstag. Wie darf man sich Geburtstage im Hause Hoger vorstellen?

Hoger: Na ja, da die Geburtstage mehr oder weniger in die Pandemie fielen, war das nicht sehr spektakulär. Wir feiern runde Geburtstage aber allgemein nicht sonderlich ausschweifend. Ohne Pandemie hätte ich das vielleicht gemacht. Aber jetzt war es halt so. Man kann auch den 61. feiern. Altwerden ist sowieso nicht lustig, insofern kann man fast sagen: "Ich bin froh, dass es ausgefallen ist." Beziehungsweise war die Tatsache, dass der Geburtstag im kleinen Kreis stattgefunden hat, eher entspannend. Das Alter entscheidet sich nicht nach der Zahl, die im Ausweis steht, sondern danach, wie man sich fühlt und welche Wünsche man noch hat. Es ist wichtig, dass man neugierig und lebensfroh bleibt. Dass das Leben mit dem Tod endet, haben wir nun wirklich alle begriffen. Wichtig ist, wie man die Zeit bis dahin sinnvoll füllt.

teleschau: Welche Wünsche haben Sie für die kommenden Jahre?

Hoger: Ich bin neugierig und lasse mich überraschen. Ich würde gerne einmal in einer Komödie spielen. Ich habe eigene literarische Programme mit Musik, in denen ich auch singe. Das würde ich auch gerne mal im Film machen. Ich bin froh, dass wir überhaupt arbeiten konnten in den letzten anderthalb Jahren, und dass es auch jetzt langsam wieder losgeht mit den Live-Auftritten, die mir sehr am Herzen liegen. Ich wünsche mir, dass die Kultur insgesamt einen größeren Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommt. Ansonsten wünsche ich mir, dass wir gesund bleiben, denn das ist das Allerwichtigste.

teleschau: Wie schätzen Sie die Chance ein, dass die Kultur einen höheren Stellenwert bekommt - gerade angesichts der zurückliegenden Monate?

Hoger: Die Lage wird von Tag zu Tag besser. In den letzten anderthalb Jahren wurde klar, wie gering die Kultur für das gesellschaftliche Miteinander eingeschätzt wurde. Doch sobald es unter Pandemie-Bedingungen endlich wieder möglich wurde, stürzten sich die Leute wie ausgehungert darauf. Das Gemeinschaftserlebnis ist nicht ersetzbar. Man kann sein Leben nicht allein vor dem Computer oder dem Fernseher fristen. Da wird man wahnsinnig! Die Kultur bietet einem eine andere Sicht auf das Leben. Es ist wichtig, dass wir uns aus unserem Muspott befreien und einen anderen Blick auf die Dinge bekommen. Dafür ist die Kultur da und wichtig. Und manchmal ist sie auch einfach nur schön!

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