Zum Jubiläum

Mainz, wie es schießt und lacht: Das ZDF wird junge 60

26.03.2023 von SWYRL/Wilfried Geldner

"Traumschiff", "Schwarzwaldklinik", "Hitparade", "Wetten, dass ..?" - Ja, aber eben auch "Kennzeichen D", "Frontal" und "kleines Fernsehspiel", und irgendwo dazwischen "Aktenzeichen XY ... ungelöst" oder die "heute-show" und natürlich all die Krimis, Legenden wie "Der Kommissar", "Der Alte" und "Derrick": Das ZDF blickt am 1. April auf 60 Jahre zurück. Eine Erfolgsgeschichte?

Worte, die damals Züge eines Urknalls hatten: "Licht aus - Womm! Spot an - Jaaaa!" - Bis es so weit war, dass sich das ZDF von den Manschetten befreite, die ihm konservative Intendanten, Rundfunkräte und Redakteure anfänglich anlegten, dauerte es eine ziemliche Weile, geschlagene acht Jahre. Aber, immerhin, 1971 befreite sich "Das Zweite" vom Hautgout der Schlagerschnulzen und Soupretten, die seit dem Senderstart am 1. April 1963 den musikalischen Sektor der Shows am Samstagabend prägten. Ganz vorbildfrei war auch der smarte Twen Ilja Richter nicht, der da als "disco"-Moderator zwischen Rock und Pop so völlig schwerelos agierte. Vorbilder wie der saloppe Peter Frankenfeld oder Peter Alexanders Parodien dürften stilbildend gewesen sein. Das ZDF musste eben seit jeher das Programm für alle sein. Und was damals den Jungen gefiel, musste nicht zwangsläufig die Alten ausschließen. Und umgekehrt.

Und wie ist das heute? Anders. Komplizierter. Und die Macher reagieren. Es gibt heute nicht nur das Hauptprogramm, sondern auch die Mediathek sowie die Digitalableger wie ZDFinfo. Es hat sich besonders im vergangenen Jahrzehnt gefühlt monströs viel getan. Ein Blick auf die Meilensteine, mit denen das ZDF gerade in den ersten Jahrzehnten Geschichte schrieb, spricht Bände - natürlich auch über manche gesellschaftliche Veränderung.

Peter Alexander hatte seine Erfolgsshows im ZDF im März 1969, gleich zu Beginn des Farbfernsehens, gestartet - eine Mischung aus Conference, Musik und Sketchen. Richter hatte dann mit seiner "disco" sicher die 37 Millionen Zuschauer, die der begnadete Parodist Alexander einst eingeheimst hatte, noch vor Augen. Was der große Peter vor den Oldies zeigte, machte Ilja vor Teenagern zur besten Sportschauzeit - und nahm mit seinen Sketchen brav die Alten mit. Er sang, sketchte und parodierte wild drauflos: "Weiße Chosen aus Athen" brachte er beispielsweise als Nana Mouskouri verkleidet zwischen den Hits von Suzie Quatro bis Supertramp zu Gehör. Die Texte, das nur nebenbei, schrieb er gemeinsam mit der Mutter. Ein Meilenstein im ZDF-Portfolio, dessen Wucht wohl erst heute, in der Retrospektive, greifbar wird.

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Schock auf dem Lerchenberg

Ilja Richter und seine "disco" blieben jedenfalls recht lange die Ausnahme im Programm, das vor allem als Unterhaltungsdampfer durch die Gezeiten fuhr. Noch heute sitzt einem etwa der Schrecken der Seifenoper "Schwarzwaldklinik" in den Gliedern, den der Erfolgsproduzent Wolfgang Rademann rechtzeitig zum Start des werbefinanzierten privaten Fernsehens 1985 kreierte. Geschichten wie die "heiteren und dramatischen Ereignisse um Ärzte und Patienten" hatte man bislang allenfalls aus Lore-Romanen gekannt. Doch der Erfolg heiligt nun mal die Mittel. Selbst bei den hochgeschätzten "Mainzer Tagen der Fernsehkritik" rauchten damals die Köpfe: Was hatten die richtig gemacht, was hatten die Fernsehkritiker falsch gedacht? Hatte man die ernsten Themen der Heile-Welt-Serie - Sterbehilfe, häusliche Gewalt - übersehen?

"Das Traumschiff", erstmals 1981 gesendet, fuhr dreimal im Jahr bereits exakt genauso hohe Quoten ein wie die "Klinik", in der Professor Brinkmann wirkte, nämlich 25 Millionen. Das Konzept war so schlicht wie brillant: Rademann wollte die Zuschauer mitnehmen in südliche Zonen - mit dem Luxusliner heraus aus dem deutschen Schmuddelwetter. Als Vorbild diente ihm das weniger seelenvolle "Love Boat" aus Amerika. Die USA dominierten nicht nur im Nachkriegsfernsehen sämtliche Unterhaltungsideen.

Ganz so nett hatte Adenauer sich das sicherlich nicht vorgestellt, als er Ende der 50-er daranging, seine Pläne für einen regierungsnahen Sender zu schmieden. 1961, also vor dem Start des ZDF, untersagte das Bundesverfassungsgericht zudem, Funk und Fernsehen als "politisches Führungsvehikel" einzusetzen und zugleich die Fernseh-Kompetenz den Bundesländern zugesprochen. In den Kontrollgremien Fernsehrat und Verwaltungsrat kam es in der Folge zu mächtigem Parteiengerangel, immer wieder forderte das Proporzdenken seine Opfer, wenn es nach jeweils fünf Jahren galt, einen Intendanten oder Programmdirektoren zu bestätigen. Erst 2014 - der Vertrag des Chefredakteurs Nikolaus Brender war konspirativ nicht verlängert worden - setzte das Bundesverfassungsgericht verkleinerte Gremien fest und forderte zudem "mehr Staatsferne" und "Parteiunabhängigkeit" ein.

Konrad Toenz trug in Zürich zur Täterermittlung bei

Doch in der Frühzeit der 70er-Jahre wurde den Mainzern noch immer allzu große Staatstreue unterstellt. Der Konservativismus zeigte sich da auch in Unterhaltungsshows wie Dieter Thomas Hecks "ZDF-Hitparade". Der Meister des Schnellsprechens scheute sich beispielsweise nicht, den Chef des Hauptstadtstudios inmitten der Sendung zu begrüßen, während er im Dreiteiler mit wahlweise gelbem oder lindgrünem Hemd die Hitliste der geladenen Interpreten wie Roy Black oder Karel Gott ("Unser sympathischer Freund aus der Tschechoslowakei!") präsentierte. Auch vergaß er nicht zu erwähnen, dass die Hitparade "die beliebteste Live-Show Europas" sei.

Von Anfang an dabei: Das "aktuelle Sportstudio", ein wahres Renommierprojekt des Zweiten, mit legendären Moderatoren wie "Bursch, pass' auf!"-Harry Valérien, Hanns Joachim Friedrichs und Dieter Kürten. Doch die Spartenlegende ist inzwischen ein Auslaufmodell geworden, eine reine Fußballsendung mit drögen Interviews. Könnte man aktualitätshalber nicht mal mit den Kollegen von der Sportschau reden, wegen eines Zusammenspiels im Wechsel - bei Olympia und WM funktioniert das ja auch? Schaut nach Mitternacht noch jemand zu - oder streamen inzwischen alle nur noch irgendwann?

Musikshows wie die "ZDF-Hitparade" und "disco" präsentierten sich als zuschauerfreundlich, indem sie Zuschauer mittels Postkarten oder später per "Ted" zum Mitmachen aufforderten, es winkten Sachpreise (Kofferradios, später Videorekorder) oder die Einladung zur nächsten Sendung. Mitmachen war in den Spiel- und Quizshows ein wohlfeiler Gedanke. Noch heute zieht man gerne den Hut vor all den Wettkandidaten, die bei "Wetten, dass ..?" freiwillig nach monatelangem Training obszönste Baggerfahrer- oder Kunstturn-Nummern präsentierten. Stars, Musik und Plaudereien auf der Couch: Es war ein einfaches Konzept, das Frank Elstner da 1981 erfunden hatte. Doch ging es bekanntlich voll auf - besonders, als Thomas Gottschalk 1987 die Liveshow vor 4.000 Hallenzuschauern und 20 Millionen an den Geräten übernahm. Keine andere Sendung strickte so sehr wie diese am Lagerfeuer- und Bademantelmythos mitsamt frisch gebadeten Kinderlein wie diese. Ja, das vielbeschworene TV-Lagerfeuer, es loderte lange Jahre in erster Linie im ZDF.

Zum Mitmachen wurden die ZDF-Zuschauer aber vor allem in der Fahndungssendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" seit Oktober 1967 durch Eduard Zimmermann aufgefordert. Gefährlich ging's zu, Kritiker merkten an, dass mit der Sendung Denunzianten aus der Nachbarschaft Tür und Tor geöffnet werden könnte. Zwischen Morden (schon damals das beliebteste Zuschauer-Metier) und Raubüberfällen wurden Sicherheitstipps eingestreut. Die Vernetzung mit Österreich und der Schweiz als Eurovisionssendung ist legendär. "Konrad Toenz in Zürich" und "Kollege Nidetzky in Wien" trugen per Telefon vielfach - wenn auch verzögert - zur Ergreifung von Tätern bei. Nach 30 Jahren und 300 Sendungen verabschiedete sich Zimmermann bei den Zuschauern gerührt mit einem leisen "Danke". Ihm folgte später Rudi Cerne mit aller Akkuratesse nach. Das Interesse an den ungelösten Fällen ist immer noch groß.

Straßenfeger und Krimis in schwarzweiß

Während in Lou van Burgs "Der goldene Schuss" (ab 1964) dank der Erfindung eines genialen Schweizers mit der Armbrust vom Heimsofa aus fern geschossen werden konnte (aber nicht deswegen, sondern wegen der Beziehung zur Assistentin wurde der Showmaster später abgesetzt), hielt es Hans Rosenthal, wegen seiner Kleinheit "Hänschen" genannt, in "Dalli-Dalli" (ab '71) lieber mit Luftsprüngen und dem Zuschauer-Slogan "Das war spitze!" Brav. Fernsehen, als hätte es die 68-er nie gegeben.

War Eduard Zimmermanns "XY" frühe Reality, die Krimiserien "Der Kommissar", "Der Alte" und "Derrick" bewirkten ihrerseits den Schauer im Fiktiven. Die von Helmut Ringelmann nach amerikanischem Vorbild gepflegten hauseigenen Stars waren garantiert keine staatsfernen Ermittler, sondern in Aussehen und Handwerk eher streng konservativ strukturiert. Effektvolle 90-Minuten-"Straßenfeger" und Mehrteiler wie "Der Tod läuft hinterher", "Babeck" und "11 Uhr 20" bereiteten in den späten Sechzigern den Serien-Dauerbrennern den Weg.

Der wahre Fernsehkrieg fand allerdings andernorts statt. Vierzehntägig bekriegten sich Gerhard Löwenthal (West) und Carl-Eduard von Schnitzler (Ost) über die 1961 gebaute Mauer hinweg. "ZDF Magazin" (ab 1969) gegen den "schwarzen Kanal". In diesem revanchelüsternen Fernsehkrieg flogen wahrlich die Fetzen. Die Schnitzler-Sendung wurde im Wechsel mit "Kennzeichen D" gesendet, das auf Ost-West-Entspannung setzte. Einer der Höhepunkte der Sendung kam im August '92 mit der Reportage über den Angriff auf ein vietnamesisches Asylantenheim.

Es gab demnach auch kritische Politmagazine im ZDF. Und es gab (und gibt) Außenseiter wie das großartige "kleine Fernsehspiel" - von Anbeginn im Jahr 1963 dabei. Filme wie Fassbinders "Der Händler der vier Jahreszeiten" hätte es ohne dieses Format nie gegeben. Ohnehin war das ZDF immer wieder ein wichtiger Koproduktionspartner für das deutsche Kino. Ohne das ZDF wäre der Neue deutsche Film nicht zu denken. Als Pendant zum "Urgestein" Heinz Ungureit beim WDR wirkte der Filmredakteur Willi Segler beim ZDF. Er beteiligte den Sender an frühen Lemke-Filmen ("Rocker", 1972) genauso wie an Werner Herzogs schrägem Amerika-Trip "Stroszek" (1976) oder dem Dracula-Film "Nosferatu - Phantom der Nacht" mit Klaus Kinski.

Dass das ZDF immer nur "Traumschiff", "Rosenheim-Cops" oder "Herzkino", also Pilcher- und Hera-Lind-Filmen senden würde, lässt sich füglich nicht behaupten. Gelobt seien die Zeitgeschichtler aus der "Terra X"-Reihe und der unermüdliche Wissenschaftserklärer Harald Lesch stellvertretend. Spätestens, wenn "heute" die Quote der "Tagesschau" überflügelt, dürfte er das Geheimnis der Milchstraße gelüftet haben. Bis dahin halten wir jedenfalls dem ZDF die Daumen, man muss ja nicht ewig die, der oder gar das Zweite sein.

Die Mainzer feiern ihren Jahrestag mit einigen Sonderprogrammen. Am Freitag, 31. März, kommt da etwa auch Ilja Richter zu seinem Recht - mit "Die ZDF-Kultnacht - Das Beste aus "Disco", um 00.30 Uhr, Tags darauf, am Samstag, 1. April, 20.15 Uhr, steht unter dem Titel "Die Show der Shows" ein zweieinhalbstündiges Event an, in dem an die Unterhaltungshighlights erinnert werden soll, bevor in der Nacht zum Sonntag, 2. April, ab 01.00 Uhr auch die Fans der "Hitparade" in einer "Kultnacht" auf ihre Kosten kommen.

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