Annette Dittert im Interview zum Platin-Jubiläum der Queen

"In der britischen Presse wird der Brexit fast tabuisiert"

02.06.2022 von SWYRL/Elisa Eberle

Seit 70 Jahren sitzt Queen Elizabeth II. auf dem Thron. Das Jubiläum wird in Großbritannien mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert. Die ARD-Korrespondentin Annette Dittert erklärt im Interview, warum die Queen selbst unter Monarchie-Gegnern beliebt ist. Außerdem gibt sie Einblicke in ein Land, das von Brexit, Corona und der Inflation hart getroffen wurde.

Sie ist eine der bekanntesten TV-Expertinnen für Großbritannien: Seit bald 15 Jahren berichtet Annette Dittert für die ARD aus London. Als Korrespondentin und Studioleiterin begleitete sie unter anderem den Brexit, der 2021 nach langem Ringen umgesetzt wurde, und sie berichtete von der Corona-Pandemie, die das Vereinigte Königreich hart traf. In "7 Fragen an die Queen" (Samstag, 4. Juni, 16.30 Uhr, das Erste, sowie ab Donnerstag, 2. Juni, in der ARD Mediathek) forscht die 59-Jährige nach amüsanten, bislang unbekannten Fakten aus dem Leben von Queen Elizabeth II. Im Interview verrät Dittert, welche Anekdoten aus dem Leben der Queen sie besonders überraschten. Außerdem berichtet sie von den Vorbereitungen auf das große Platin-Jubiläum der Queen, welches von Donnerstag, 2. Juni, bis einschließlich Sonntag, 5. Juni, in ganz Großbritannien gefeiert und unter anderem von ARD und ZDF in umfangreichen Sonderberichterstattungen begleitet wird. Darüber hinaus gibt die gebürtige Kölnerin eine Einschätzung über die Zukunft der britischen Monarchie ab. Und sie verrät, warum die Berichterstattung zum Brexit in der britischen Presse eine Seltenheit geworden ist.

teleschau: In anderthalb Wochen finden die landesweiten Feierlichkeiten zum Platin-Jubiläum der Queen statt. Wie ist die Stimmung in London?

Annette Dittert: Die Stimmung ist gut. Allmählich merkt man, dass die Vorbereitungen richtig losgehen: In der Regent Street hängen schon riesige Union Jacks, der Buckingham Palace ist zum Teil abgesperrt, es gab bereits Proben für Trooping the Colour. Wenn man aktuell durch die Stadt fährt, spürt man: Es passiert etwas Großes hier in London. Selbst diejenigen Britinnen und Briten, die gar nicht so die großen Fans der Monarchie sind, freuen sich auf das Event - auch weil es ein langes, freies Wochenende ist und weil es das erste große Event nach der Pandemie ist, bei dem die Menschen in solchen Massen zusammenkommen.

teleschau: Schwingt bei all der freudigen Erwartung womöglich auch ein wenig Sorge um den Gesundheitszustand der Queen mit?

Dittert: Natürlich liegt ein kleiner Schatten auf dem Ganzen. Die Menschen wissen, dass es wahrscheinlich das letzte Mal ist, dass sie die Queen so feiern werden. Aber die Freude überwiegt.

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"Die große Stunde der Republikaner wird erst schlagen, wenn die Queen nicht mehr ist"

teleschau: Manche befürchten, dass die Queen womöglich nicht an Trooping the Colour teilnehmen wird. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Dittert: Der Palast will den Menschen die Enttäuschung ersparen, weshalb er es erst kurzfristig mitteilt, wenn die Queen einen Termin absagen muss. Ich selbst habe die Queen bei der Royal Windsor Horse Show Mitte Mai aus der Nähe gesehen. Sie wirkte extrem fit und gut gelaunt. Sie hat offenbar Probleme mit dem Laufen und will sich in der Öffentlichkeit nicht in einem Rollstuhl zeigen. Deswegen sind die Auftritte, bei denen sie viel gehen muss, eingeschränkt. Aber es ist nicht so, dass man fürchten muss, dass sie übermorgen das Zeitliche segnet. Für eine 96-Jährige geht es ihr noch ziemlich gut!

teleschau: Nicht nur der Gesundheitszustand der Queen bedroht die Unbeschwertheit des Jubiläums: Großbritannien leidet unter der höchsten Inflation seit Jahrzehnten, der Brexit verlief weniger erfolgreich als geplant. Fördert das nicht auch kritische Stimmen?

Dittert: Es stimmt, dass Großbritannien auf eine schwere Inflation zutreibt, die mit neun bis zehn Prozent schon jetzt höher als in anderen Ländern liegt. Die Regierung ist im Moment dabei, zu überlegen, wie sie das auffangen kann. Aber in diesen vier Tagen, in denen das Jubiläum gefeiert wird, wird das keine Rolle spielen. Natürlich gibt es kritische Stimmen gegen das Königshaus und die Monarchie. Aber die Queen an sich gilt selbst in diesen Lagern als nahezu unumstritten. Die große Stunde der Republikaner wird erst dann schlagen, wenn die Queen mal nicht mehr ist.

Wird es zu einer Prinzregentschaft von Charles kommen?

teleschau: Zwischen den Rassismus-Vorwürfen von Harry und Meghan sowie den Sexismus-Anschuldigungen gegen Prinz Andrew hatte das britische Königshaus mit einigen Skandalen zu kämpfen. Wie schlägt sich diese Entwicklung auf die allgemeine Stimmung nieder?

Dittert: Die Auseinandersetzung mit Harry und Meghan ist sehr schade, da sie die Chance gewesen wären, das Königshaus zu modernisieren, es diverser zu machen. Natürlich hat das Renommee des Königshauses darunter sehr gelitten. Dem persönlichen Ansehen der Queen und der Verehrung, die ihr viele Britinnen und Briten entgegenbringen, hat das aber nicht geschadet. Die Frage ist: Was passiert mit der Institution der Monarchie, wenn sie einmal nicht mehr da ist? Dass sie Charles schon jetzt royale Pflichten überträgt, ist, glaube ich, eine ganz bewusste Entscheidung, damit er noch während ihrer Zeit als zukünftiger König akzeptiert wird. Denn wenn der Wechsel abrupt vollzogen wird, könnte dem Königshaus womöglich eine viel feindseligere Stimmung entgegenschlagen.

teleschau: Wird es womöglich zu einer Prinzregentschaft von Charles kommen?

Dittert: Generell wird die Queen nicht abdanken. Als The Supreme Governor of the Church of England ist sie von Gott für dieses Amt berufen. Das kann sie als gläubiger Mensch nicht ablegen. Hinzukommt, dass das Trauma um die Abdankung ihres Onkels, Eduard VIII., noch immer auf ihr lastet. Deshalb wird sie weiterhin im Hintergrund präsent sein, während Charles lediglich als ihr Vertreter auftritt.

teleschau: Charles ist allerdings nicht der beliebteste Thronfolger. Wie kann er die Sympathien des Volkes gewinnen?

Dittert: In dem Moment, in dem die Queen weg ist, wird Charles eine große Welle der Sympathie entgegenschlagen, die ihn in den ersten Monaten stützt. Die Frage ist nur, wie lange diese Sympathie hält. Ein weiterer Aspekt, der ihm helfen könnte, ist, dass er sich sehr für das Klima und die Umwelt engagiert. Dadurch könnte er womöglich noch mehr jüngere Britinnen und Briten auf seine Seite ziehen. Nichtsdestotrotz wird sich die Frage nach dem Sinn der Monarchie nach der Beerdigung der Queen sicher wieder stärker stellen.

Über die Gossip liebende Queen

teleschau: In Ihrem Film "7 Fragen an die Queen" forschen Sie nach unbekannten Geheimnissen der Queen. Welches war die faszinierendste Erkenntnis, die Sie dabei gewinnen konnten?

Dittert: Das interessanteste war, zu erfahren, wer der Mensch ist, der die Queen täglich informiert: Das ist der sogenannte Vice-Chamberlain. Einen, der diesen Job ausübte, haben wir gefunden: Er heißt Andrew MacKay und hat uns erzählt, wie das abläuft. Die Vice Chamberlain Notes, die die Queen jeden Abend in ihrer berühmten roten Box liest, wurden zum einen bis Ende der 1990-er von Hand geschrieben. Das hat man dann mit MacKay geändert, weil er so eine miese Handschrift hatte. (lacht) Zum anderen werden die Inhalte der Box in keiner Weise mit dem Premierminister abgestimmt. Die Queen bekommt das sozusagen exklusiv. Da kann es mitunter schon einmal vorkommen, dass sie bei den wöchentlichen Treffen mit dem Premier durchaus auch Diskrepanzen entdeckt. Das fand ich sehr spannend. Außerdem soll die Queen wohl einmal gesagt haben, dass sie mehr Gossip will: Sie will einfach wissen, was da in der Downing Street so hinter den Kulissen passiert. Das hat er ungewöhnlich offen erzählt.

teleschau: Als Korrespondentin durften Sie die Queen und andere Royals schon das ein oder andere mal aus der Nähe erleben. Welchen Eindruck gewannen Sie dabei?

Dittert: Die Queen habe ich immer mal wieder bei Events oder Gartenpartys gesehen. Das letzte Mal, dass ich sie aus der Nähe sah, war bei der Royal Windsor Horse Show, wo sie, wie gesagt, erstaunlich fit wirkte. Charles durfte ich als Pressebegleitung etwas näher erleben. Dabei ist mir klar geworden, wieviel Arbeit die Royals wirklich auch leisten. Die ganze Woche über war er täglich bei einer anderen Charity-Veranstaltung und musste acht bis zehn Stunden lang Hände schütteln, Reden halten. Das hat mich nachdenklich gemacht, weil man immer sagt: Die sitzen da im goldenen Käfig. Die Royals leisten schon eine Menge und sind auch wichtig als Patronen der sozialen Institutionen. Sie hören zu und nehmen sich Zeit.

"Offiziell ist der Brexit erledigt"

teleschau: Das Thronjubiläum der Queen ist nicht das einzige Thema, das Großbritannien dieser Tage bewegt. Auch der Brexit hat vieles verändert. Wie ist die derzeitige Stimmung hierzu?

Dittert: Der Brexit schädigt die britische Wirtschaft auf mittlerem Niveau, aber kontinuierlich. Vor allem die Exporte nach Europa sind drastisch zurückgegangen. Das eigentlich Surreale ist, dass hier keiner mehr darüber sprechen darf und soll im Moment. In der Presse wird das "B-Wort" fast tabuisiert. Wenn von der Wirtschaftskrise gesprochen wird, die ja auch durch den Brexit mitverursacht wurde, dann geht es eigentlich immer eher um die Folgen des Ukraine-Kriegs und die generellen Transportlieferschwierigkeiten nach der Pandemie, die da auch alle mitreinspielen. Aber dass der Brexit da auch eine nicht unwichtige Rolle spielt, wird in den Medien weitestgehend nicht erwähnt. Das ist auch die Linie der Regierung, die darüber einfach nicht mehr sprechen will. Offiziell ist der Brexit erledigt, dass daraus weitere Probleme erwachsen werden, will niemand hören.

teleschau: Aber funktioniert das, gerade angesichts der Wahl in Nordirland?

Dittertt: Nein, in Nordirland funktioniert das gar nicht: Dort ist es natürlich offensichtlich ein Problem. Ob es dafür eine Lösung geben wird, muss man abwarten. Dadurch, dass die Regierung von Boris Johnson allerdings damit droht, den Brexit-Vertrag zu brechen, ist die Bereitschaft vonseiten Brüssel, Kompromisse zu finden, nicht sehr groß. Da ist die Lage ziemlich verkantet, und ich habe keine Idee, wie man das lösen will.

"Der Brexit ist ein englisches Phänomen"

teleschau: Könnten Sie sich vorstellen, dass das Vereinigte Königreich doch noch durch ein Unabhängigkeitsreferendum auseinanderbricht?

Dittert: Durchaus. Die Schotten haben ihr Unabhängigkeitsreferendum einmal knapp verloren. Aber es wird sicher einen weiteren Versuch geben. Im Moment herrscht eine gewisse Müdigkeit. Die schottische Ministerin Nicola Sturgeon lässt das Thema momentan ruhen. Was viel schneller und dramatischer sein wird, ist die Lage in Nordirland. Ich könnte mir vorstellen, dass es, nachdem die katholische Sinn Féin im protestantischen Nordirland so stark wurde, eher zu einer Vereinigung Nordirlands und Irlands kommen wird, als zu einer Loslösung von Schottland. Der Brexit ist letztlich ein englisches Phänomen. In Schottland und in Nordirland waren die Leute ja nicht dafür.

teleschau: Rund um das Brexit-Referendum hörte man hin und wieder auch von Anfeindungen europäischer Exilanten, die in Großbritannien leben. Wie geht es Ihnen damit?

Dittert: Das habe ich eher selten erlebt. Die Briten sind grundsätzlich ein sehr freundliches Volk. Es ist eine gewisse Entfremdung von beiden Seiten eingetreten. Vor allem viele Osteuropäer haben das Land verlassen, und viele meiner europäischen Freunde sind auch gegangen. Das Grundgefühl hat sich seit dem Brexit sehr verändert: Überall fehlen Arbeitskräfte, gerade in Restaurants. Die werden jetzt langsam durch Menschen aus den ehemaligen Kolonien ersetzt. Ironischerweise wird es am Ende also eine genauso hohe Immigrationsquote geben, nur eben nicht mehr aus der EU.

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