Mai Thi Nguyen-Kim im Interview

"Ich lasse mich nicht einschüchtern"

05.10.2021 von SWYRL/Maximilian Haase

Sie schreibt Bücher, sitzt in Talkshows, dreht fürs Fernsehen und wird mit Preisen überhäuft: Innerhalb kurzer Zeit avancierte Mai Thi Nguyen-Kim zum Shootingstar der Wissenschaft. Was macht es mit der promovierten Chemikerin, im Rampenlicht zu stehen?

Nannen-Preis, Leibniz-Medaille, Goldene Kamera - zuletzt unter anderem der Grimme-Preis: Es gibt kaum eine Auszeichnung, die Mai Thi Nguyen-Kim in den vergangenen Jahren nicht erhalten hätte. Für ihre Berichterstattung zur Corona-Pandemie wurde sie 2020 als Journalistin des Jahres ausgezeichnet, Bundespräsident Frank Walter Steinmeier überreichte ihr gar das Bundesverdienstkreuz, in Talkshows war sie Dauergast. Das Rezept der promovierten Chemikerin, die 2015 mit ihrem ersten YouTube-Kanal begann und seither zum neuen jungen Gesicht des Wissenschaftsjournalismus avancierte, scheint so simpel wie durchschlagend zu sein: Forschung einer breiten Masse zugänglich machen, unterhaltsam aufklären. Eindeutige Fakten plus emanzipierte Frische - und das auch noch im Öffentlich-Rechtlichen, wo die 34-Jährige nun ihre erste eigene Sendung ("Maithink X - Die Show", ab 24.10. immer sonntags, 22.15 Uhr, ZDFneo) sowie drei "Terra X"-Folgen ("Wunderwelt Chemie", Sonntag, 10., 17. und 24.10., je 19.30 Uhr, ZDF) präsentiert: Schon das kann hierzulande so manche provozieren. Wie sie mit Angriffen im Netz umgeht, ob sie sich manchmal ins Labor zurückwünscht und was die öffentliche Präsenz noch so mit sich bringt, verrät Mai Thi Nguyen-Kim im Interview.

teleschau: Seit Monaten stehen Sie im Fokus der Aufmerksamkeit, besuchen Talkshows, geben Interviews. Gab es zwischendurch mal Momente, in denen Sie absolut keine Lust auf Öffentlichkeit mehr hatten?

Nguyen-Kim: Ja, die gab es, zum ersten Mal während der Corona-Pandemie. Als die zweite Welle kam, dachte ich: Jetzt kann ich das alles nochmal sagen, oder auch nicht, aber eigentlich wissen es doch alle. Mir war klar, dass es um eine politische Entscheidung ging, man sich aber hinter der Wissenschaft verstecken wollte. Da gab es Phasen, in denen ich keine Lust hatte, Fernsehen zu schauen. Geschweige denn, selbst Interviews zu geben. In dieser Zeit schrieb ich auch mein Buch. Das war viel Arbeit, aber auch schön. Weil ich mich endlich mal wieder intensiv mit anderen Themen als der Pandemie auseinandersetzen konnte - etwa mit Drogen (lacht).

teleschau: Haben Sie es manchmal bereut, sich so pointiert zur Coronakrise geäußert zu haben?

Nguyen-Kim: Bereut habe ich es nie. Aber es ist schon anstrengend - weil ich immer auch als Person im Fokus stehe. Wobei es gar nicht um mich geht, sondern um Wissenschaft, Fakten und Inhalte. Doch gerade in den sozialen Medien wird oft überreagiert. Sehr schnell herrscht da Empörung, sehr schnell wird es beleidigend. Das ist nicht mein Stil und muss nicht sein.

teleschau: Setzen Ihnen Hass und Angriffe im Netz noch sehr zu - oder gewöhnt man sich daran?

Nguyen-Kim: Ich bin da zum Glück ein bisschen reingewachsen. YouTube ist ein bisschen härter als Fernsehen. Das habe ich schon bei "Quarks" gemerkt: Da bekommt man auch mal einen kritischen Zuschauerbrief, aber bis die Schreiber den getippt und abgeschickt haben, überlegen sie sich das Ganze nochmal. Ein blöder Kommentar online ist hingegen schnell verfasst. Auf meinem YouTube-Kanal hatte ich in dieser Hinsicht viel erlebt und wurde daher nicht so kalt davon erwischt. Ich habe mir eine dicke Haut zugelegt. Einem Christian Drosten etwa, der aus seiner Wissenschaft im Labor in den Medienzirkus geschmissen wird, ging es da sicher ganz anders.

teleschau: Haben Sie trotzdem Strategien entwickelt, damit umzugehen?

Nguyen-Kim: Ich lasse mich nicht einschüchtern. Dazu gehört es, mich immer wieder auf die Inhalte zu konzentrieren; mich nicht von den Extremen und Randmeinungen ablenken zu lassen. Sehr oft bin ich etwa Thema in Telegram-Gruppen von Querdenkern. Wenn wir ein neues Video posten, kommt von dieser Seite oft ein ganzer Schwall Kommentare. Aber ich weiß ganz genau, dass das eine kleine Anzahl von Menschen ist. Die sind nicht repräsentativ. Deshalb lasse ich mich davon nicht beirren.

teleschau: In Ihrem aktuellen Buch schreiben Sie: "Lasst die Impfgegner in Ruhe!" Eine Forderung, die viele überrascht hat.

Nguyen-Kim: Ich meine damit die krassen Impfgegner, die wirklich glauben, dass die Pharmaindustrie uns vergiften will. Die kann ich mit rationalen Argumenten nicht gewinnen. Wenn die überzeugt sind, dass ich Teil dieser Verschwörung bin, dann können sie mir ja auch nichts glauben, was aus meinem Mund kommt. Und doch gilt selbst in Corona-Zeiten: Das ist ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung. Dieser Teil ist festgefahren. Ein viel größerer Teil hat Fragen, ist skeptisch - aber in diesem Fall vielleicht nicht grundsätzlich gegen das Impfen. Diese Menschen wiederum haben Widersprüchliches gehört, sind deshalb nachvollziehbar verunsichert und suchen nach Antworten. Das ist eher die Zielgruppe, die ich erreichen will.

teleschau: Heißt das, Sie glauben an die Macht der Aufklärung durch Fakten?

Nguyen-Kim: Ja, oder anders: Ich glaube noch an eine Mehrheit der Vernunft.

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"Die kennen mich ja gar nicht"

teleschau: Denken Sie, die Resonanz auf Ihre Arbeit wäre anders, wenn Sie ein älterer Mann wären?

Nguyen-Kim: Es gibt unter den Faktenverweigerern auch einen größeren Anteil an menschenverachtenden Haltungen. Dazu gehört auch Sexismus - dass man sich also nicht so gern von einer Frau etwas erklären lässt, noch dazu von einer jüngeren. Anscheinend breche ich Klischees, und werde auch immer wieder darauf angesprochen, wie es als Frau in der Wissenschaft so ist.

teleschau: Kann auch das Darauf-Angesprochen-Werden nerven?

Nguyen-Kim: Einerseits ist es müßig, weil es ja eigentlich egal ist. Weil wir auch gar nicht so selten vorkommen (lacht). Frauen in der Wissenschaft sind in den Medien nur nicht so sichtbar. Trotzdem: Ich bin froh um jedes Klischee, das ich brechen kann. Bei jedem, der sich über mich wundert, habe ich ja das Weltbild ein wenig aufgebrochen. Daher finde ich es ganz dankbar, eine junge Frau zu sein. Zumal ich dadurch im ersten Moment vielleicht mehr Aufmerksamkeit bekomme - positiv wie negativ. Diese Aufmerksamkeit kann ich dann wieder nutzen, um mich auf meine Inhalte zu konzentrieren.

teleschau: Kann man Person und Inhalt in der Öffentlichkeit - zumal im Fernsehen - voneinander so scharf unterscheiden?

Nguyen-Kim: Ich kann die Inhalte recht gut von mir als Mensch trennen. Wenn mich Leute anfeinden, weiß ich: Die kennen mich ja gar nicht, sondern haben Probleme mit den wissenschaftlichen Inhalten, über die ich spreche. Genauso ist es aber bei Preisen und Auszeichnungen: Das liegt nicht daran, dass ich der geilste Mensch bin, sondern dass Wissenschaft gewürdigt und wertgeschätzt wird. Das hilft ungemein. Zumal die Öffentlichkeit auch einige Nachteile mit sich bringt. Ich finde es etwa unangenehm, auf der Straße erkannt zu werden - selbst mit Maske. Positive Kehrseite wiederum ist es, Vorbild zu sein.

teleschau: Sehen Sie sich mit Ihrer öffentlichen Rolle vor allem als Vorbild für Mädchen, die in die Naturwissenschaft wollen?

Nguyen-Kim: Ich bekomme täglich Kommentare und Nachrichten von Mädchen und jungen Frauen, die mir schreiben, dass sie erst durch mich für Naturwissenschaften begeistert wurden. Die konnten durch meine Arbeit einen ansprechenden ersten Eindruck gewinnen. Der ist so wichtig.

teleschau: Geht damit für Sie eine bestimmte Verantwortung einher?

Nguyen-Kim: Als ich mit meinem YouTube-Kanal begonnen habe, war ich schon 28 Jahre alt, also eine erwachsene Frau. Die Verantwortung war mir daher schon früh sehr bewusst. Und ich nehme sie gerne an. Für jüngere Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ist das gar nicht so einfach.

teleschau: Nun stehen Sie schon einige Zeit in der Öffentlichkeit. Wünschen Sie sich manchmal als Chemikerin ins Labor zurück?

Nguyen-Kim: Ich bin sehr nostalgisch, was das Labor betrifft. Meist bilde ich mir ein, dass ich es schrecklich vermisse. Meine Chemikerfreunde sagen dann immer, dass das totaler Bullshit sei (lacht). Sie meinen, dass ich das nicht so romantisieren soll - und dass ich nach zwei Wochen ohnehin wieder zurück wollen würde. Ich glaube, das stimmt. Es ist eine Typensache: Ich bin einfach sehr breit interessiert und möchte schnell vorankommen. Daher will ich mein Leben nicht damit verbringen, den ganzen Tag im Labor zu stehen, um einer Spezialsache nachzugehen. Ich bin dankbar, dass es smarte Kolleginnen und Kollegen gibt, die ihr Lebenswerk darin sehen. Ich muss ganz ehrlich sein: Meine persönlichen Stärken und Leidenschaften kann ich eher in meiner jetzigen Tätigkeit einbringen.

teleschau: Besteht eigentlich eine gewisse Skepsis der Kollegen aus der Wissenschaft gegenüber Ihnen, die viel in den Medien zu sehen ist?

Nguyen-Kim: Inzwischen ist es sogar eher andersherum, dass aus medialer Sicht das Klischee von der Möchtegernchemikerin herrscht. Vielleicht ist es auch in den älteren akademischen Generationen ein wenig verpönt, da gibt es noch die Einstellung: Das ist alles so komplex, das kann das normale Volk gar nicht verstehen (lacht)! Aber in meiner Generation habe ich den Eindruck, dass sich das gewandelt hat. Die jüngeren Profs und Wissenschaftler verstehen total, warum ich aus der Forschung gegangen bin. Da bekomme ich viel Rückenwind und gutes Feedback. Viele verstehen, dass es nicht viel hilft, das Leben beispielsweise mit mRNA-Technologie voranzubringen, wenn den Impfstoff am Ende niemand will. Insgesamt ist Wissenschaftsjournalismus viel wichtiger geworden - gerade auch mit Aufstieg der sozialen Medien.

"Den Leuten wird zu wenig zugetraut"

teleschau: Ist es für guten Wissenschaftsjournalismus nötig, einen gesellschaftlichen Bezug herzustellen?

Nguyen-Kim: Ich finde es ebenso toll, über das faszinierende Weltall zu staunen, das mache ich privat auch gern. Anders in meiner Arbeit, da brenne ich für die gesellschaftlich relevanten Themen, wo sich Wissenschaft und Gesellschaft überkreuzen. Besonders spannend finde ich es, wenn die Forschung klare Fakten vorlegt - aber es keine klaren Antworten darauf gibt, was wir daraus nun machen. Wenn wir also als Gesellschaft gefragt sind, gemeinsam nach Nutzen, Wertungen und Haltungen zu ringen. Zu fragen: Was wollen wir eigentlich? In meiner ZDFneo-Show will ich mich genau solchen kontroversen Fragen widmen, mit dem Ziel, unterhaltsam zu versachlichen.

teleschau: Themen, die Sie selbst gesetzt haben?

Nguyen-Kim: Ja. Dies war einer der Gründe für mich, zum ZDF zu wechseln. Wie bei "Mailab" habe ich bei "Maithink" die redaktionelle Hoheit. Ich habe mein "Mailab"-Team in die Show mitgenommen und bin auch Redaktionsleiterin. Das war mir wichtig, weil ich nicht authentisch auf einer Bühne stehen könnte, wenn ich nur moderieren würde.

teleschau: Bei "Terra X" widmen Sie sich im ZDF zudem in drei Folgen der Chemie und damit ihrer Leidenschaft. War das nach all den Ausflügen in andere Themenbereiche ein Heimspiel für Sie?

Nguyen-Kim: Es war so schön! Das hatte fast etwas Therapeutisches, zum Thema Chemie zu drehen. Und dabei auch die großen Fragen zu stellen: Wo kommen wir her? Wie entstand das Universum? Oder herausfordernd: Ist die Natur nicht die beste Chemikerin? Es ist eine dreiteilige Liebeserklärung an die Chemie - wobei auch negative Seiten angesprochen werden. Was mir wichtig war: Chemie ist weder intrinsisch gut noch schlecht. Sondern einfach nur die Kunst, aus Elementen etwas Neues zu bauen. Was wir dabei bauen, das haben wir in der Hand.

teleschau: Vielen gilt Chemie noch immer als dröge und langweilig - wo liegt denn da das Missverständnis?

Nguyen-Kim: Den Leuten wird zu wenig zugetraut. Alles wird immer nur als Chemikalie beschrieben. Und "Chemikalie" ist oft so negativ konnotiert - das gilt als was Schlechtes. Wenn es einen Unfall in einer Fabrik gibt, wird vor "austretenden Chemikalien" gewarnt. Da kann ich nur entgegnen: Was ich hier in meiner Tasse habe und trinke, sind ebenfalls Chemikalien (lacht)! Das ist eine seltsame Zuschreibung. Man setzt sich nicht genug damit auseinander. Es ist ja immer so: Wenn man nur wenig von einer Sache mitbekommt, wird ein Thema schnell Schwarz-Weiß. Schaut man dann genauer hin, wird es schnell bunter. So ist es auch mit der Chemie.

teleschau: Liegt das auch an den Schulen? Der Chemieunterricht ist oft nicht sonderlich populär ...

Nguyen-Kim: Vielleicht hatten viele Menschen einen schlechten ersten Eindruck in der Schule - und wollten dann nie wieder was damit zu tun haben. Das kann ich gut nachvollziehen. Bei den Lesungen meines ersten Buches, das von Chemie handelt, fragte ich oft, wer Chemie eigentlich abgewählt hatte - das war oft die Hälfte der Besucherinnen und Besucher. Und doch waren diese Leute nun in ihrer Freizeit auf einer Chemielesung! Ich sage also immer: Es ist nie zu spät! (lacht)

teleschau: Mit Angela Merkel verlässt nun eine promovierte Physikerin das Kanzleramt. Merkten Sie ihr das Naturwissenschaftlerin-Sein im politischen Handeln an?

Nguyen-Kim: Klar, vor allem natürlich während der Pandemie. Mein Lieblingsspruch ist immer noch: "Ich habe da mal eine Modellrechnung gemacht!" (lacht) Damit heimste sie bei allen Naturwissenschaftlern große Sympathiepunkte ein. Das werden wir definitiv vermissen!

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