Horst Lichter im Interview

"Ich wollte nie etwas Besonderes sein"

03.05.2021 von SWYRL/Frank Rauscher

Jeder kennt den Mann mit dem markanten Zwirbelbart. Aber wer wissen will, wie der "Bares für Rares"-Zampano Horst Lichter wirklich tickt, sollte dieses Interview lesen - und natürlich sein neues Buch: Lichter war im Schweigekloster, hat seine Eindrücke niedergeschrieben und lässt nun tief in seine Seele blicken.

Man glaubt es kaum, aber der sonst so redselige Horst Lichter hat auch eine sehr stille und nachdenkliche Seite. Im vergangenen Jahr war er sogar im Schweigekloster. Am Anfang tat er sich schwer, erinnert sich der "Bares für Rares"-Gastgeber nun. Aber nach und nach fand er, abseits aller dort angebotenen Yoga-Kurse und Zen-Rituale, doch zum inneren Frieden. "Es war definitiv heilsam, dass ich in der Zeit gezwungen war, mich mit mir selber zu beschäftigen. Nach und nach verschwanden all die Stimmen, die Ablenkungen und äußeren Einflüsse - es gab da ja keinerlei Unterhaltung, auch Handys waren tabu. Und auf einmal war ich an dem Punkt, wo ich mir die alles entscheidende Frage von selbst gestellt habe: Mag ich mich?" Wie die Antwort ausfällt, verrät der 59-Jährige im Interview. Den ganzen Verlauf seiner abenteuerlichen Reise zu sich selbst schildert Horst Lichter in seinem Buch "Ich bin dann mal still: Meine Suche nach der Ruhe in mir." (Knaur Balance, 18,00 Euro).

teleschau: Wann lagen Sie das letzte Mal so richtig lange in der Badewanne?

Horst Lichter: Oh, das ist schon ein Weilchen her. Das war im Hotel. Aber da sind wir ja alle gerade nicht so oft. Warum wollen Sie so was denn wissen (lacht)?

teleschau: Weil Sie in Ihrem Buch schreiben, ein einstündiges Vollbad sei für Sie die einzige Möglichkeit, komplett abzuschalten und mal wirklich an nichts zu denken.

Lichter: Das stimmt schon. Ich mache unterwegs immer ein richtiges Ritual draus: Nach getaner Arbeit geh ich auf mein Zimmer, esse noch schnell mein Butterbrot, und dann tauche ich ab. Da kann mich nichts und niemand mehr stören. Jetzt, da ich kein Berufspendler mehr bin, habe ich aber einen ganz anderen Tagesablauf - wir essen in der Familie zusammen, dann noch mal mit dem Hund raus, und um zehn Uhr geht's ins Bett - ich schlafe übrigens hervorragend. Da ist kein Platz mehr für die Badewanne, ich brauche sie eigentlich auch gar nicht mehr. Ein neues Leben.

teleschau: Sie sind vom Schwarzwald wieder in die Kölner Gegend gezogen ...

Lichter: Genau. Ich war einfach zu viel weg von daheim. Jetzt habe ich einen ganz normalen Alltag wie jeder andere auch - ich fahre früh von zu Hause aus zur Arbeit, wir drehen ja "Bares für Rares" in Pulheim bei Köln, und abends fahre ich wieder heim, in unser Haus. Dort haben wir es uns schön gemacht. Und wenn ich wirklich mal runterkommen muss, geht es in die Garage: Autoschrauben wirkt bei mir fast wie ein Vollbad. Langweilig? Ich finde es herrlich!

teleschau: Sind Sie angekommen?

Lichter: Das sollte ich mit 59 Jahren sein! Ich habe nicht das Gefühl, irgendetwas versäumt zu haben, es gibt keine offenen Rechnungen, und es gibt auch nicht die berühmten großen Dinge, die ich unbedingt noch gemacht haben muss in meinem Leben. Es könnte von mir aus jetzt alles einfach so weitergehen wie im Moment. Es ist gut.

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"Es lief von Anfang an nichts wie geplant"

teleschau: Ins Schweigekloster sind Sie trotzdem gegangen!

Lichter: Ja, aber als ehrlicher Mann verrate ich, dass es die Idee des Verlags war, mich dorthin zu schicken. Ich war so begeistert davon, dass ich mir die Zeit genommen habe. Das ist ja auch ein herrlicher Kontrast: Ausgerechnet der Lichter, der andauernd irgendwas erzählt und seine Klappe einfach nicht halten kann, soll zum Schweigen verdonnert werden. Auf das Experiment hatte ich Lust. Nur, im Vertrauen: Wer mich wirklich kennt, weiß, dass ich auch mal sehr gut für eine Weile gar nichts sagen kann. Ich krieg das hin.

teleschau: Dann verlief der Trip aber ganz anders, als erwartet ...

Lichter: Genau. Es lief von Anfang an nichts wie geplant. Gerade in den ersten drei Tagen war es schwer. Denn es war zwar nicht äußerlich, aber in mir drin, sehr, sehr laut - da rannten die Gedanken wild durcheinander, weil ich unzufrieden war und mich mit dem Programm, das dort geboten wurde, einfach nicht identifizieren konnte. Was soll ich bei einer Zen-Meditation, in der ich für mich wenig lerne? Und dann hatten die nicht mal einen anständigen Kaffee! Aber dann habe ich mich irgendwann doch auf den Weg zum inneren Frieden begeben und etwas verinnerlicht, das wir heutzutage doch alle immer so schön einfordern: Toleranz! Nur weil ich etwas für schwierig und seltsam halte, heißt das nicht, dass es nicht für andere genau das Richtige sein kann.

teleschau: Aber an den Kursen haben Sie sich nicht mehr beteiligt ...

Lichter: Das nicht. Aber zumindest tat ich nun das, weshalb ich gekommen war: Ich schwieg. Dann hat es funktioniert, nur eben anders als gedacht, wie man im Buch nachlesen kann.

teleschau: Sie lassen Ihre Leser erstaunlich detailreich in Ihr Innerstes blicken, teilen auch finstere Gedanken.

Lichter: Das muss so sein - weil ich einfach eine ehrliche Haut bin. Anders hätte ich es das Buch nicht machen können.

teleschau: Besonders ausführlich beschreiben Sie, wie schwer es Ihnen fällt, abzuschalten. "Wenn mein Kopf nicht zur Ruhe kommt, wenn es nicht still wird, dann wird es irgendwann problematisch", schreiben Sie.

Lichter: Das empfinde ich tatsächlich als eine zentrale Herausforderung dieser Zeit - und damit bin ich wahrscheinlich nicht alleine. Ich bin nicht in der Lage, Ratschläge zu geben, ich kann nur sagen, wie ich es für mich sehe: Es war definitiv heilsam, dass ich in der Zeit im Schweigekloster gezwungen war, mich mit mir selber zu beschäftigen. Nach und nach verschwanden all die Stimmen, die Ablenkungen und äußeren Einflüsse - es gab da ja keinerlei Unterhaltung, auch Handys waren tabu. Und auf einmal war ich an dem Punkt, wo ich mir die alles entscheidende Frage von selbst gestellt habe: Mag ich mich? Ein Ansatz, der alles ändert und ganz neue Perspektiven auf das eigene Ich bietet. Müssen Sie mal probieren!

teleschau: Kamen Sie zu neuen Erkenntnissen über sich?

Lichter: Nicht unbedingt. Ich bin von Haus aus nicht so gefährdet, mich selbst zu verlieren, weil ich mich eigentlich nicht so schnell treiben lasse - weder von anderen, noch von mir selbst.

"Die finden alles scheiße - und schuld sind nur die anderen"

teleschau: Mangelt es Ihnen etwa an Ehrgeiz?

Lichter: (lacht) Wenn Sie das so sehen möchten ... Nein! Oder vielleicht doch. Ich wollte eben nie etwas Besonderes sein, ich will nicht schneller, schöner, größer oder reicher sein als andere. Ich lebe nach dem Motto: "Mach das, was du wirklich möchtest, und mach das gut - oder vielmehr: Mach es so, dass es zufriedenstellend ist für alle." Ich bin nicht neidisch, und, ganz wichtig, ich mache nie andere schuldig für etwas, das mir widerfährt. Ich glaube, mit so einem bisschen natürlicher Bescheidenheit lebt es sich gesünder. All die Getriebenen, die Ehrgeizigen, die Neidischen und Unzufriedenen, die werden nicht glücklich im Leben. Sieht man doch gerade wieder.

teleschau: Was meinen Sie?

Lichter: Schauen Sie sich diese Demonstrationen an: Die Querdenker laufen durch die Innenstädte, ziehen lange Gesichter, haben nur schlechte Nachrichten und schlechte Laune. Da gibt es nichts Versöhnliches, die finden alles scheiße - und schuld sind nur die anderen: die Politik, die Medien, die Wirtschaft, ihr Chef ... Nur sich selbst nehmen sie nicht in die Verantwortung. Mein Gott, Ihr habt dat doch alles mit in der Hand! Das ist natürlich nur meine persönliche Meinung, aber ich finde, es fängt immer bei einem selbst an. Und: Höflichkeit, Freundlichkeit und Respekt müssen einfach immer sein, egal, wie kritisch man etwas sieht. Et kost' doch nix.

teleschau: Als die Pandemie losging, hatten viele die Hoffnung, dass es nun um Solidarität gehen würde, dass die Menschen in dieser Situation enger zusammenrücken. Warum ist das nicht passiert?

Lichter: Aber es ist doch passiert! Wir sind zusammengerückt - ich kenne viele wunderbare Beispiele von Solidarität in dieser Zeit. Auch von Selbstlosigkeit oder Mitleid. Nur schreit niemand seine guten Taten in die Welt hinaus, und es wird darüber auch nicht berichtet. Wir schenken wie immer dem Lauten unsere Aufmerksamkeit - das Ganze hat auch viel mit den Medien zu tun. Ich sag's mal etwas banal: Jeden Tag erlebe ich beim Einkaufen wie sich 99,9 Prozent aller Menschen solidarisch geben und sich an alles halten. Die Leute machen mit. Aber die paar, die herumschreien, die keine Maske aufsetzen wollen und sich aggressiv geben, denen gehört die Aufmerksamkeit. Ich kenne das auch von mir selber: Ich gehe nach so einem Vorfall nach Hause und sage meiner Frau: "Dat denkst du nicht, was da heut' im EDEKA wieder los war." Aber ich gehe nie nach Hause und sage: "Mensch, heute haben sich 200 Leute im Supermarkt total ruhig verhalten und Maske getragen." Wir lassen uns von Minderheiten zu sehr ablenken. Alle Umfragen der letzten Monate sind eindeutig. Die Mehrheit ist grundsätzlich mit den Maßnahmen einverstanden - man muss nicht alles gut finden und verstehen, das ist klar.

teleschau: Im Buch bringen Sie es auf den Punkt: "Warum sind die, die schreien, immer so laut und die, die fragen und zuhören, so leise?"

Lichter: Das regt mich eben wirklich auf. Aber wenn es um die großen Themen geht, nehme ich die Medien da nicht aus der Verantwortung. Da las ich zum Beispiel neulich etwas von einer "verlorenen Jugend-Generation". Sicher haben die Jungen es gerade nicht leicht. Aber sie sind nicht im Krieg. Und sie verlieren ein Jahr, bestimmt nicht ihre Jugend. Da ist momentan einfach viel zu viel Aufgeregtheit drin. Besonnenheit wäre besser. Oder Harmonie - aber davon traut man sich ja gerade gar nicht zu reden.

"Bares für Rares' ist die pure Harmonie"

teleschau: Gut, dass es "Bares für Rares" gibt.

Lichter: Genau. "Bares für Rares" ist die pure Harmonie. Der große Erfolg dieser Sendung ist darin begründet, dass da eben überhaupt nichts Aufgeregtes passiert. Wir zeigen Normalität - normale Menschen, und wir behandeln jeden Einzelnen mit der gleichen Aufmerksamkeit und mit dem gleichen Respekt. Manchmal erzählen wir einen Krimi, mal eine Komödie und manches Mal sogar eine Tragödie - aber die Grundessenz ist immer gleich: Normalität. Wir gehen immer gut miteinander um. Und das tut auch den Zuschauern gut. Dass so etwas jeden Tag mindestens drei Millionen Menschen sehen wollen, sagt doch etwas aus, oder?

teleschau: Was denn?

Lichter: Dass die ganze Welt eben doch nicht auseinanderbricht. Und dass sich sehr viele Menschen geradezu zu sehnen scheinen nach Unaufgeregtheit, Normalität und Harmonie. Mit Blick auf die Gesellschaft sage ich: Wir müssten es nur irgendwie schaffen, die Aufmerksamkeit wieder mehr auf die Guten und das Gute zu lenken.

"Wenn es heute vorbei wäre, ist es gut!"

teleschau: Stimmt es, dass das ZDF vor acht Jahren, zum Start von "Bares für Rares", eigentlich erst mal nur acht Folgen machen wollte?

Lichter: Ja, das war so. Ich war aber von Anfang an überzeugt, dass die das fortführen werden - ich habe zu 100 Prozent an das Format geglaubt. "Wenn wir's richtig gut machen, dann schaffen wir bestimmt drei Jahre", habe ich damals immer zum Team gesagt ... Und: "Genießt den Moment!" - Dass es dann acht Jahre werden, dass es Wochenendausgaben und sogar Primetime-Shows geben wird, das konnte auch ich nicht ahnen. "Kunst und Krempel" läuft im BR-Fernsehen jetzt, glaube ich, schon 25 Jahre lang, aber ich bin schon Fernsehkenner genug, um zu wissen, dass jede Beständigkeit ganz schnell vorbei sein kann. Ich mach auf jeden Fall weiter, solange es mir Freude macht - oder bis sie mich rauskicken. Kann ja sein, dass ich denen irgendwann zu alt bin. Dann bin ich aber auch keinem böse - ich nehme es, wie's kommt!

teleschau: Im Buch steht der schöne Satz: "Ich fühle mich manchmal betrogen von der Zeit!" Erklären Sie es uns?

Lichter: Es geht darum, dass alles so rasend schnell ging. Gestern lutschte ich noch am Daumen, jetzt werde ich schon bald 60. Ich bin aber deswegen nicht unglücklich. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es sich lohnt, mal wieder über all das, was dazwischen lag, nachzudenken - so wie ich es im Kloster getan habe. Ich habe auch geschrieben: "Wenn es heute vorbei wäre, ist es gut!" - Das könnte mir sicher noch um die Ohren fliegen.

teleschau: Was für eine Schlagzeile!

Lichter: Also gut, dann erkläre ich jetzt, wie ich das meine: Ich bin mitnichten lebensmüde. Sondern ich habe so viel Leben erleben dürfen - und manchmal auch müssen -, dass ich sage, es ist viel mehr passiert, als ich je hätte erwarten können. Ich habe geliebt, ich habe gelacht, ich habe geweint und ich habe gelitten - was ist mir alles widerfahren! Im Grunde reicht es für ein paar Leben. Sie sehen: Die Demut dem eigenen Leben gegenüber ist mein großes Thema (lacht).

teleschau: War die Auseinandersetzung mit Ihrem Buch eine Art Therapie für Sie?

Lichter: Es war zumindest wie eine dieser Basenkuren, die ich Jahr für Jahr mache: Erst ist es anstrengend, so viel Verzicht, es dauert gefühlt ewig, aber dann, wenn ich es hinter mich gebracht habe, ist es unglaublich: Da fühlt sich das Leben wieder an wie neu: Ich schmecke und rieche viel mehr, meine Wahrnehmungen und mein Bewusstsein sind geschärft. So geht es mir mit diesem Buch: Ich weiß alles wieder ein bisschen besser zu würdigen.

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