Frank Plasbergs ARD-Talk

"Haben wir was falsch gemacht?" - Bei "Hart aber fair" wurde über die ostdeutsche Sicht auf Putins Krieg debattiert

25.10.2022 von SWYRL

Die alte Ost-West-Debatte, das alte "Ihr" und "Wir"? Zum Glück kam es bei "Hart aber fair" dann doch etwas anders.

Wirklich? Führen wir über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer die alten Ost-West-Debatten? Der Titel der "Hart aber fair"-Ausgabe vom Montagabend suggerierte genau das: "Eine Frage der Herkunft: Warum sehen Ost- und Westdeutsche Russlands Krieg so anders?" - eine Zuspitzung, die vor dem Polittalk Schlimmes vermuten ließ und so klingt, als gäbe es in zwei unterschiedlichen Teiles dieses Landes tatsächlich genau zwei völlig gegensätzliche Sichtweisen, so, als würden wir uns als Gesellschaft noch in den Nach-Wende-Krämpfen der frühen 90-er winden.

Aber im Jahr 2022 ist dann doch einiges anders - anders auch, als es einen die undurchlässigen Meinungskorridore in den Kommentarspalten vormachen. Bei Frank Plasberg wurde weitaus weniger gestritten als befürchtet. Es ging hier, ausnahmsweise ist man versucht zu sagen, ums Zuhören und ums Ausredenlassen. Um den Austausch von Argumenten - in Teilen zumindest auch um das Verbindende und nicht um die permanente Wiederholung des Trennenden.

Dennoch waren diese 75 Minuten von einem geschmeidigen Einheitsgefühl natürlich fast genauso so weit entfernt wie die Bilder, die in den vergangenen Wochen von diversen Demonstrationen gegen die Regierungspolitik frei Haus geliefert wurden. Dort, auf den Demos, sah man auch immer wieder mal russische Flaggen wehen - besonders in ostdeutschen Innenstädten. Auf manchen Plakaten und in diversen Reden wurde eine antiwestliche und antiamerikanische Haltung deutlich zum Ausdruck gebracht.

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"Hart aber fair": Alles, nur keine "Ameisenforschung"

Also: Wie tief sind die Gräben wirklich? Und woher kommt das bisweilen festzustellende Wohlwollen mancher Ostdeutscher gegenüber Wladimir Putin? - Das zu ergründen, oblag am Montag zunächst der ARD-Journalistin und Sportmoderatorin Jessy Wellmer, die sich zur besten Sendezeit in "Die Story im Ersten: Russland, Putin und wir Ostdeutsche" auf eine persönliche Recherchereise begab: In ihrer Heimatstadt Güstrow und in anderen Städten wollte sie herausfinden, wie die Ostdeutschen wirklich über den Ukraine-Krieg denken.

Schon in diesem Film wurde deutlich, wie kompliziert, wie verfahren die Lage teilweise ist. Da antworte am Rande einer solchen Demo eine Damenrunde auf die Frage Wellmers, ob man der Meinung sei, dass Russland den Weltfrieden bedroht, mit entschiedenem Kopfschütteln: "Nein!" - Dabei war der Film keineswegs auf Konfrontation und Zuspitzung aus, sondern er kolportierte offenbar recht authentisch, was gerade los ist in Teilen des Landes.

Wer angesichts solcher Sequenzen noch nicht verschreckt war und durchhielt, erlebte im Anschluss eine ebenso sehenswerte "Hart aber fair"-Ausgabe, die direkt an den Ansatz der Doku anknüpfte und nicht nur die steigenden Energiepreise verhandelte, sondern über weite Strecken schwer einzufassende Themen wie unterschiedliche Sozialisierungen und Mentalitäten, verschiedene Perspektiven auf die Historie und auf die Demokratie an sich. Frank Plasberg warf die selbstkritische Frage in den Raum: "Haben wir was falsch gemacht? Gab es hier zu viele Ameisenforscher, die sich über die Menschen im Osten gebeugt haben?"

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Jessy Wellmer: "Informiert euch! Ihr seid erwachsene Bürger!"

Jessy Wellmer, die selbst der Talk-Runde angehörte, sagte, sie wünsche sich, dass wir uns zuhören und ernstnehmen. "Ich fühle mich wohl in der Mitte", erklärte sie anfangs angesichts des ihr zugedachten Platzes. Sie sehe ich auch sonst im Leben durchaus in der Vermittlerrolle, so Wellmer, die mit einem Westdeutschen verheiratet ist und fraglos sehr gut als sympathisches Positivbeispiel taugt: "Das ist meine Rolle, so wie ich sie kenne", sagte sie.

Auch nach dem Dreh ihres Filmes sei sie grundsätzlich hoffnungsvoll, was den Zusammenhalt angehe. Es gehe jetzt gerade für ihre Generation darum, Gesprächskanäle zu öffnen oder offenzuhalten. Der Blick auf Putins Angriffskrieg sei für sie "glasklar": "Das ist ein Verbrechen", so Wellmer. Für sie werde es "zum Problem, wenn Leute die Demokratie und die Diktatur, wie sie in der DDR da war, auf Augenhöhe verhandeln". Später in der Sendung kam sie auf die "monströse Gefahr", das Internet, zu sprechen: "mit den ganzen Foren, in denen sich die Leute bewegen und teilweise gar nicht wissen, dass das Portale der neuen Rechten sind". Wellmer: "Da kann ich nur sagen: Informiert euch! Ihr seid erwachsene Bürger!"

Der Publizist Ralf Fücks (Grüne) wurde ebenso deutlich. "Russland als Friedensmacht oder eine Kraft des Fortschritts zu bezeichnen, da muss man schon beide Augen vor der Realität verschließen", sagte der Leiter der Denkfabrik "Zentrum Liberale Moderne". Auch der Historiker Professor Stefan Creuzberger brachte seine Verwunderung darüber, dass "in Teilen der Bevölkerung eine Verklärung der Freundschaft zu Russland" stattfinde, zum Ausdruck.

Doch es gab in der Sendung auch viel Raum für ganz andere Sichtweisen. Die Politikberaterin Antje Hermenau (Autorin des Buches "Ansichten aus der Mitte Europas: Wie Sachsen die Welt sehen") nahm den Part im Meinungskanon ein, über die es im Kern bei "Hart aber fair" eigentlich ging: "Ich bin nicht so anmaßend, zu behaupten, dass ich ihn durchschaue, aber ich durchschaue auch andere nicht", gab sie über Putin zu Protokoll. Und zum Krieg in der Ukraine: "Ich habe auch Mitleid mit den Leuten in Jemen!"

Hermenau ging scharf mit der jetzigen Bundesregierung ins Gericht und fragte in die Runde: "Wer soll denn die Ukraine hinterher wieder aufbauen, wenn wir uns jetzt ökonomisch selbst ins Schwert stürzen?" Standpunkte, die zwingend in diese Sendung gehörten, weil sie so oder so ähnlich derzeit eben vielfach zu vernehmen sind - vor allem in Ostdeutschland. Die Frau, die einst für die Grünen im Bundestag saß und 2015 aus der Partei austrat, erklärte: "Die meisten, die jetzt auf der Straße sind, denen geht der Hintern auf Grundeis."

"Es war Russland, das Gas als Waffe gegen den Westen eingesetzt hat", hielt Fücks dagegen. Putin wolle "das Großrussische Imperium restaurieren", und das sage er auch ganz offen. Hermenau konterte, Putin habe "versucht, das Land mit Europa zusammenzubringen". Hier war die ansonsten erstaunlich sachliche Diskussion einmal an der scharfen Trennlinie angekommen, auf die der Titel der "Hart aber fair"-Sendung anspielte.

Henry Maske: Whatsapp-Chat mit Klitschko

Als gesamtdeutscher Sportheld kam Henry Maske die wohltuende Rolle eines Vermittlers zu, indem er seine ganz persönlichen Erinnerungen teilte: Als Sechsjähriger sei er zufällig mit sowjetischen Soldaten zusammengekommen. Diese hätten Tomaten gepflückten und ihm "Weißbrot gegeben". Viel mehr, weder Negatives noch Positives, könne er über die Sowjetsoldaten nicht sagen, bekundete Maske und betonte: "Es gibt keinen Krieg, der erklärbar und begründbar ist!" Als Plasberg ein Foto Maskes mit Vitali Klitschko bei der Beerdigung des Boxtrainers Fritz Sdunek 2014 zeigte, erzählte der immer noch unfassbar fit wirkende Ex-Boxprofi, dass er sich eine Woche nach dem Kriegsbeginn "ganz kurz per Whatsapp" mit Klitschko ausgetauscht und ihm "alle Kraft, die möglich ist, gewünscht" habe.

Maske war es wichtig, zu betonen, dass es mitnichten "die Ostdeutschen" seien, die Putin derzeit das Wort reden würden, sondern eben nur ein gewisser Teil. Und in genau diesem Modus wider das Schwarzweiß-Denken und wider die Pauschalisierung funktionierte diese "Hart aber fair"-Ausgabe. Brigitte Büscher, die wie immer ausgewählte Zuschauerstimmen präsentierte und einordnete, hatte das perfekte Fazit parat, als sie einen User wie folgt zitierte: "Fast alle haben profitiert von der deutschen Einheit. Können von Litauen bis Portugal reisen, ohne dass jemand fragt, warum ihr hinwollt. Merkt ihr es alle noch? Streicht diese beiden dämlichen Himmelsrichtungen aus euren Köpfen." Der Mann sei, so Büscher, Thüringer und nach eigenen Worten "mit Freude Europäer".

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