Gerd Silberbauer im Interview

"Die 'SOKO München' war wie meine Familie"

21.12.2020 von SWYRL/Julian Weinberger

Arthur Bauer verabschiedet sich in den Ruhestand: Nach dem Aus von "SOKO München" spricht Urgestein Gerd Silberbauer über die Rolle seines Lebens, den ganz besonderen Geist hinter den Kulissen des Seriendauerbrenners und seine Zukunftspläne.

Die Nachricht schlug im August 2019 wie eine Bombe ein: Die "SOKO München" wird eingestellt - trotz stabiler Einschaltquoten und großer Beliebtheit bei den Zuschauern. Während die Fans in den sozialen Medien ihrem Unverständnis über das Ende des TV-Dauerbrenners nach 42 Jahren freien Lauf ließen, saß der Schock auch bei den Schauspielern tief. "Es war totenstill", erinnert sich Gerd Silberbauer im Interview an den Moment der Gewissheit.

Am Dienstag, 29. Dezember, ist das Team der "SOKO" um Arthur Bauer (Silberbauer), Franz Ainfachnur (Christofer von Beau), Dominik Morgenstern (Joscha Kiefer) und Resi Schwaiger (Mersiha Husagic) noch ein letztes Mal im 90-Minüter "Countdown" (20.15 Uhr, ZDF) im Einsatz. Welche Erinnerungen aus zwölf Jahren "SOKO München" für Gerd Silberbauer bleiben, weshalb er den Jugendwahn der öffentlich-rechtlichen Sender nicht nachvollziehen kann und wie es dem Schauspieler in der Coronakrise ergeht, erklärt der 67-Jährige im Interview.

teleschau: Herr Silberbauer, am 29. Dezember geht eine Ära zu Ende: Es wird die letzte Folge von "SOKO München" ausgestrahlt ...

Silberbauer: Ich finde es schön, dass man jetzt einen solchen Abschluss hat. Nach 42 Jahren oder bei mir nach zwölf Jahren sollte man eine Geschichte zu Ende erzählen. Ich habe dem ZDF auch gesagt, es wäre schön, wenn man den Leichnam in Würde begraben würde und ihn nicht einfach so gegen die Wand fährt. Als im August 2019 die Entscheidung fiel, dass wir nur noch vier Folgen haben und dann ist Schluss, waren wir alle perplex. Dass man uns trotz guter Quoten und Sympathiewerten abschießt, war schon eine absurde Nummer.

teleschau: Ihre Kollegin Mersiha Husagic sprach von einer "Stimmung wie auf einer Beerdigung" ...

Silberbauer: Es war noch schlimmer. Im August 2019 kamen zwei UFA-Mitarbeiter mittags um 14 Uhr und sagten: "Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass das ZDF beschlossen hat, die 'SOKO' nach den nächsten vier Folgen einzustellen." Keiner von uns wusste etwas davon. Ich dachte zuerst: "Wollen die mich verarschen?" Ich dachte wirklich, es wäre "Verstehen Sie Spaß?". Es war totenstill. Nach zwei, drei Minuten begannen die ersten Mitarbeiter zu weinen, und da fing ich dann an, es zu realisieren.

teleschau: Wie ging es weiter?

Silberbauer: Danach saßen wir zusammen bei ein paar Bier und ich, der ja immer so etwas wie der Papa war, sagte: "Wir lassen uns jetzt nicht hängen, rocken das die letzten vier Folgen und gehen stolz da raus."

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"Das war schon eine heftige Nummer, als sich jeder so nach und nach verabschiedet hat"

teleschau: Wie ist es Ihnen persönlich mit dem Abschied ergangen?

Silberbauer: Am Anfang habe ich es noch gar nicht verstanden. Wenn etwas Furchtbares passiert im Leben, hat man ja einen Schutzmechanismus, der einen davor bewahrt, auszurasten. Richtige Löcher kamen dann im November, Dezember und Januar, wo ich dachte: "Was mache ich jetzt?" Andererseits passiert das jeden Tag Tausenden von Menschen, das ist der Kapitalismus. Für mich war es wegen meines Alters vielleicht letztlich nicht ganz so schlimm, weil diese Seriendreherei ja schon verdammt anstrengend ist.

teleschau: Die offizielle Begründung des ZDF zur Absetzung war sehr schwammig, es war lediglich von einer "Modernisierung des Programms" die Rede. Fand mit den Schauspielern ein Dialog darüber hinaus statt?

Silberbauer: Nein, gar nicht. Es gab diesen doch sehr dünnen ZDF-Text, man wolle "neue Wege gehen" und müsse sich "von Liebgewonnenem" trennen. Die wahren Gründe weiß ich bis heute nicht.

teleschau: Was hätten Sie sich vom ZDF gewünscht?

Silberbauer: Ich hätte mir gewünscht, dass wir nicht von heute auf morgen raus sind. Aber das ist das Geschäft, damit muss man leben. Wir sind ja keine Beamte, das sehe ich auch ein. Aber ich hätte mir gewünscht, dass man mit uns gesprochen hätte und uns in diesem Jahr vielleicht noch einmal zehn Folgen gegeben hätte, damit jeder seine Geschichte zu Ende erzählen hätte können.

teleschau: Wie zufrieden sind Sie mit dem finalen 90-Minüter?

Silberbauer: Er ist sehr spannend geworden. Wenn man sieht, in welch kurzer Zeit und mit wie viel Herzblut der Film entstand, ist das wirklich eine sehr anständige Beerdigung. Die Leute sollen sagen: "Schade, dass sie aufhören" und nicht "Gott sei Dank, jetzt sind sie weg". Das würde ich als sehr traurig empfinden.

teleschau: Machten die Umstände des Drehs unter Corona-Bedingungen einen richtigen Abschied von den Kollegen überhaupt möglich?

Silberbauer: Natürlich saßen wir nach der letzten Klappe im Anschluss an einen Nachtdreh noch bei ein, zwei Bierchen zusammen - es ist ja nicht nur ein körperlicher Abschied. Der richtige Abschluss und die eigentliche Trauer waren ja auch schon letztes Jahr, als wir die letzten vier Folgen gedreht haben. Das war schon eine heftige Nummer, als sich jeder so nach und nach verabschiedet hat. Meine letzte Szene bei der "SOKO" war mit Joscha Kiefer und ich sagte: "Komm, gehst du mit auf ein Bier?" Das fand ich sehr bezeichnend und schön. Das sind so kleine Dinge, die einen sehr berühren.

"Wir waren einer der beliebtesten Sets in Deutschland"

teleschau: Was machte die Zusammenarbeit bei der "SOKO München" aus?

Silberbauer: Es war wie meine Familie. Ich habe auch schon vorher viele Filme und Serien gemacht, wo jede Abteilung für sich arbeitete. Bei der "SOKO" haben wir departmentübergreifend miteinander sehr gut zusammen gearbeitet. Ich glaube, wir waren einer der beliebtesten Sets in Deutschland, weil es immer sehr menschlich und freundlich zuging. Viele Gastschauspieler, die bei uns waren, haben diesen "SOKO"-Geist auch erlebt.

teleschau: Was bleibt nach zwölf Jahren bei der "SOKO"?

Silberbauer: Wunderbare Erinnerungen und gute Freundschaften. Am Anfang war es ein Schock und Trauer, aber im Leben geht es weiter. Es waren zwölf wunderbare Jahre - was will man mehr, als mit Leuten zu arbeiten, die man liebt. Die "SOKO München" war ein gutes Format mit einer sympathischen Truppe. Wenn ich auf Tournee bin, habe ich mich immer darüber gefreut, wenn ich auf die Serie angesprochen wurde - das macht mich auch ein bisschen stolz.

teleschau: Laufen zum Abschied noch einmal bestimmte Momente vor Ihrem inneren Auge ab?

Silberbauer: Ganz viele. Ich weiß zum Beispiel noch, dass ich in der ersten Woche dachte: "Wo bin ich denn hier gelandet?" Da stürmten wir einmal die falsche Wohnung. Der Aufnahmeleiter hatte die Tür verwechselt, wir gingen dort hin, klopften und sagten: "Machen Sie die Tür auf, Polizei!" Normal wäre niemand herausgekommen, aber es öffnete sich die Tür, und es stand uns ein zitternder, junger Student mit schweißnassem Gesicht gegenüber. (lacht)

teleschau: Auch andere langlaufende Serien wie "Um Himmels Willen" und die "Lindenstraße" wurden eingestellt. Warum werden aktuell so viele Traditionsformate abgesetzt?

Silberbauer: Da bin ich nicht die richtige Adresse, da müssen Sie die Verantwortlichen fragen. Natürlich muss man sich auch im wahren Leben ab und zu von liebgewonnenen Dingen trennen. Aber ich lamentiere und jammere nicht - das ist nicht meine Art. So ist das Leben, und in dem Fall hat es eben uns getroffen.

teleschau: Sind veränderte Sehgewohnheiten jüngerer Generationen möglicherweise ausschlaggebend?

Silberbauer: Die Zielsetzung von der ARD oder vom ZDF, die Jugend um diese Zeit zu erreichen, ist eine sehr schwierige Aufgabe. Netflix und die privaten Sender sind da dominant. Ich finde, man muss die Sehgewohnheiten der Leute nicht aufbrechen, sondern sie bedienen. Abends um 18 Uhr will unsere Zielgruppe die "SOKO" sehen. Darin soll nicht gestritten werden, nicht mehr geschossen als geredet, sondern fundiert ermittelt werden. Die Zuschauer wünschen sich hier feste Strukturen.

"Ich wäre so gern gewesen wie Arthur Bauer"

teleschau: Dazu gehörte auch Ihre Rolle Arthur Bauer, die Sie einst mitentwickelt haben. Wie fühlt es sich an, dieses Alter Ego jetzt nach zwölf Jahren zurückzulassen?

Silberbauer: Es ist schon sehr traurig. Die Figur hat mich lange begleitet, und da steckt auch sehr viel von mir selbst drin. Ich habe den Arthur wahnsinnig gerne gemocht und wäre so gerne gewesen wie er. Privat bin ich eher zurückhaltend und nicht so konsequent. Ich habe ihn geliebt und tue das immer noch. Ich freue mich, dass ich das so lange machen durfte.

teleschau: Sind Ihnen nach dem letzten Dreh im Alltag manchmal Situationen untergekommen, die Arthur anders gelöst hätte als Sie?

Silberbauer: Arthur hätte sowieso vieles anders gelöst als ich, der wäre knallhart nach vorne gegangen - obwohl er sich in zwölf Jahren auch sehr verändert hat. Ich vergleiche das immer mit einem Grizzlybären, der zu Beginn Anti-Aggressionstraining machen musste. Zum Schluss hat sich Arthur dann aber zu einem verständnisvollen Pandabären entwickelt.

teleschau: In der letzten Folge geht Arthur Bauer in die Rente. Haben auch Sie schon Pläne für den Ruhestand geschmiedet?

Silberbauer: Ruhestand ist so eine Sache. Ich bin ja oft in unserem Haus auf Mallorca, und dort nennt man einen Rentner "jubilario". Das bedeutet auch so viel wie Jubel und zeigt, dass die Rente auch etwas Gutes ist. Das Schöne ist, dass man nach zwölf Jahren als Hauptrolle in einer Serie finanziell relativ abgesichert ist. Der Moment, in dem feste Strukturen wegfallen, kann auch eine Befreiung sein. Ich habe seitdem schon zwei andere Sachen gedreht und spiele jetzt Theater.

"Bei Covid-Leugnern und Verschwörungstheoretikern könnte ich wahnsinnig werden"

teleschau: Derzeit proben Sie für das Stück "Extrawurst". Wovon handelt es?

Gerd Silberbauer: Es geht um die Jahreshauptversammlung eines Tennisclubs. Da entbrennt ein Streit, ob ein türkisches Vereinsmitglied einen eigenen Grill kriegen kann, darf oder muss. Es ist ein tolles Stück, sehr zynisch, und es passt absolut in die heutige Zeit und das deutsche Vereinsmeiertum.

teleschau: Wie muss man sich die Proben unter Corona-Bedingungen vorstellen?

Silberbauer: Das ist nicht so richtig lustig. Wenn man morgens hinkommt, wird einem Fieber gemessen, dann wird alles desinfiziert, und einmal die Woche wird getestet. Generell gilt ein Abstand von eineinhalb Meter. Manchmal schreien wir auch, dann sind es vier oder fünf Meter. Mit Maske proben geht nicht, das wäre vollkommener Unsinn. Angesichts der immer härteren Maßnahmen ist einem bei alldem aber schon etwas mulmig.

teleschau: Mit dem Stück wollten Sie eigentlich ab Mitte Januar auf große Theatertournee gehen ...

Silberbauer: Das sehe ich aktuell nun wirklich nicht, das wird nicht funktionieren. Wir warten ab und hoffen, dass es irgendwann losgeht. Das ist für uns natürlich auch ein unerträglicher Zustand. Wir probieren und probieren, wissen im Hinterkopf aber schon, dass das alles nicht wie geplant funktionieren wird. Ich denke, frühestens Ende Februar wird es überhaupt wieder möglich sein, ins Theater zu gehen. Das ist für uns alle sehr unbefriedigend, aber auf der anderen Seite auch eine schöne Abwechslung, dass man wieder spielen kann.

teleschau: Was macht diese Ungewissheit mit Ihnen?

Silberbauer: Dass ins Blaue hinein geprobt wird, ist schon ein sehr zwiespältiger Zustand. Aber andererseits muss ich sagen: Das Stück wird früher oder später rauskommen. Wir leben einfach in einer sehr schwierigen Zeit. Ich bin 67 Jahre alt, gehöre also vom Alter zur Gruppe der Risikopatienten. Ich habe keine Lust, mich in Gefahr zu begeben, dass ich am Ende im Krankenhaus lande. Mittlerweile weicht meine bisherige Gelassenheit auch einer mittelschweren Sorge.

teleschau: Gehen Sie auch mit Sorge zu den Theaterproben?

Silberbauer: Nein, aber natürlich mit einer gewissen Vorsicht. Wir versuchen alle, unsere Kontakte zu reduzieren. Wenn alle Leute so sehr darauf achten würden, wäre die ganze Sache nicht so furchtbar. Klar, du kannst aus der Tür gehen, hast Pech und bist infiziert. Aber man kann sich nicht zu Hause einschließen. Man versucht ja schon alles. Es hat auch etwas Positives, fünf oder sechs Stunden mit netten Leuten zu arbeiten und aus diesem depressiven Trott herauszukommen. Umso wütender werde ich angesichts der Covid-Leugner und Verschwörungstheoretiker. Da könnte ich wahnsinnig werden. Ich würde die alle mal ins Krankenhaus jagen, damit die sehen, was da abgeht. Das ist einfach unerträglich.

teleschau: Die gesamte Kulturlandschaft leidet enorm unter der Coronakrise. Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft der Kulturinstitution Theater?

Silberbauer: Nein, mit Sicherheit nicht. Das Theater wird immer leben, weil es eine lebendige und wahrhaftige Kunst ist, die den Leuten auch sehr viel Freude macht. Irgendwann wird das zurückkommen, auch wenn es am Anfang noch Einschränkungen geben wird. Man darf natürlich nicht vergessen, dass viele freie Schauspieler momentan am Rande des Abgrunds stehen und wirklich nichts mehr verdienen. Aber generell glaube ich, dass das Theater immer bestehen wird und vielleicht sogar gestärkt aus der Situation herauskommen wird, weil sich die Menschen nach Kunst und Kultur sehnen.

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