Gelobt sei Gott - Mi. 07.06. - ARTE: 20.15 Uhr

Das Schweigen der Scheinheiligen

05.06.2023 von SWYRL/Andreas Fischer

Mit "Gelobt sei Gott" arbeitet François Ozon einen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche Frankreichs auf. ARTE zeigt den Film mit aktueller Sprengkraft, geradezu unerträglich sachlich in der Schilderung eines pervertierten Systems.

Unbehaglicher kann eine Begegnung zwischen zwei Männern nicht sein, als die, die François Ozon recht früh in seinem Film "Gelobt sei Gott" inszeniert. Es treffen sich in einem lichtarmen Raum einer Kirche Alexandre (Melvil Poupaud), ein erwachsener Mann, der vor 30 Jahren mehrfach missbraucht wurde, und sein Peiniger. Priester Preynat (Bernard Verley) gibt sein Vergehen unumwunden zu, er macht das mit einem Ausmaß an Selbstmitleid, das die Rollen von Opfer und Täter umzukehren scheint. Am Ende des Treffens muss Alexandre dankbar sein, mit dem Mann, der seine Kindheit zerstört hat, ein Vaterunser beten zu dürfen. Denn das ist alles, was ihm der Priester anbietet. Statt aufrichtiger Reue ob der eigenen Sünde flüchtet er sich in hohle Floskeln und zeigt damit ganz deutlich, wie ernst es der Kirche hier wirklich ist, den systematischen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Priester aufzuarbeiten. Im Anschluss an die Free-TV-Premiere zeigt ARTE eine Dokumentation zum Film.

François Ozon setzt sich in "Gelobt sei Gott" (2018) mit einem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Frankreich auseinander und arbeitet ihn konsequent aus Sicht der Opfer auf. In den 1980er-Jahren soll der pädophile Priester Bernard Preynat im Erzbistum Lyon Dutzende minderjährige Pfadfinder missbraucht haben und von seinen Vorgesetzten, darunter Erzbischof Philippe Barbarin (François Marthouret), gedeckt worden sein.

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Ein heuchlerisches System

Dass die Verbrechen Preynats trotz des Schweigekartells der Kirche bekannt wurden, dafür ist Alexandre Guérin verantwortlich. Der erfolgreiche Geschäftsmann und Vater von fünf Kindern sieht 2014, dass der Priester, der ihn einst sexuell missbrauchte, immer noch im Kirchendienst ist und weiterhin mit Kindern arbeitet. Um seinen eigenen Kindern zu ersparen, was er einst durchmachte, und um endlich Gerechtigkeit zu erfahren, wendet er sich an den Erzbischof von Lyon. Barbarin zeigt sich aufgeschlossen und einfühlsam, er ist es, der Preynat zu dem Treffen mit Alexandre beordert. Doch schnell wird klar, dass die Kirche hier ein heuchlerisches System ist, das sich nur allzu gerne selbst vergibt.

Alexandre, immer noch gläubiger Katholik, braucht ziemlich lange, um das zu begreifen. Erst nach der Begegnung mit Preynat wendet sich an die weltliche Justiz. Im Zuge der Ermittlungen der Polizei melden sich immer mehr Opfer: Ozon bleibt bei ihnen, wechselt aber zweimal die Perspektive. Im Mittelteil widmet er sich dem impulsiven François (Denis Ménochet), der all seine Energie in den Opferverein "La Parole Libérée" steckt, und zum Schluss kümmert er sich um Emmanuel (Swann Arlaud), der am offensichtlichsten (auch körperlich) unter den einstigen Qualen leidet.

Unerträglich sachliche Schilderung eines perversen Systems

Pragmatisch und konzentriert nimmt sich Ozon die realen Ereignisse vor, etwa dem Briefwechsel zwischen Alexandre und dem Erzbischof, und spinnt sie zu einem Drama, das in seiner Ruhe und Dichte beeindruckt. Vor allem in ersten Teil seines Triptychons ist das ausgesprochen elegant, weil der französische Filmemacher Bilder und Worte entkoppelt und dadurch ihre Wirkung verstärkt.

Während man Alexandre und seine Familie in der Betriebsamkeit des Alltags beobachtet, lesen Stimmen aus dem Off im dauerhaften Voice-Over ausgesprochen höflich formulierte E-Mails vor, die sich Alexandre und Erzbischof Barbarin schicken: seitens der Kirche unverfroren konziliant im Ton und schrecklich im Inhalt. Man solle nicht an alten Wunden kratzen, dann tun sie nicht mehr weh, bekommt Alexandre irgendwann von einer Kirchenpsychologin zu hören.

Ozon bleibt bei alldem stets betont sachlich. Er muss nicht dramatisieren, um zu zeigen, was die Opfer durchgemacht haben und wie der sexuelle Missbrauch durch Preynat ihr Leben bis heute prägt. Das macht "Gelobt sei Gott" zu einem aufrüttelnden Statement wider ein System, das es Pädophilen ermöglichte, jahrelang ungestraft Verbrechen zu begehen.

"Es war einmal" lautet die Titel der Dokumentation, die ARTE im Anschluss um 22.30 Uhr zeigt. Der Film belegt, wie realiätsnah François Ozons "Gelobt sei Gott" geriet. Der Regisseur traf sich mit drei Opfern des beschuldigten Priesters. Das Drehbuch basiert auf ihren persönlichen Geschichten. Die Schauspieler Melvil Poupaud, Swann Arlaud und Josiane Balasko kommen in der Dokumentation ebenso zu Wort wie zwei der drei Opfer. Sie sind die Gründer des Vereins La Parole libérée ("Das befreite Wort"), der eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Gemeinde in Lyon spielte.

Bernard Preynat wurde im März 2020 zu fünf Jahren Haft ohne Bewährung wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Barbarin war zumnächst durch den Strafgerichtshof in Lyon zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden, wurde im Berufungsverfahren jedoch freigesprochen. Der zu dem Zeitpunkt 69-Jährige könne nicht persönlich für Fehler der katholischen Kirche haften.

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