29.11.2024 von SWYRL/Wilfried Geldner
Die ukrainische Filmemacherin Svitlana Lishchynska begibt sich in ihrem 2024 uraufgeführten Dokumentarfilm auf die Suche nach ihrer nationalen Identität. Dazu porträtiert sie drei Frauen aus ihrer Familie: ihre Mutter, die Tochter und ihre Enkelin. Vor allem geht es aber auch um sie selbst.
Anders als bisherige Filme vom Überfall auf die Ukraine begibt sich die 1970 in Mariupol geborene Regisseurin Svitlana Lishchynska nicht mitten hinein in die Kriegsszenerie. Sie zeigt nicht das Grauen des Krieges, allenfalls die Ruinen ihrer Heimatstadt Mariupol. Was ist sie eigentlich: Russin oder Ukrainerin? - So fragt die Autorin selbst. Russischsprachig ist sie aufgewachsen, die Sowjetunion hat sie noch als ihre Normalität erlebt. "A Bit of a Stranger", der englische Titel des Films, trifft ins Schwarze. Tief drin wird sie wohl eine Fremde bleiben. Bereits 2014, bei Putins Überfall auf die Krim, begann sie als Ukrainerin erstmals darüber nachzudenken, "wer wir sind".
"Drei Frauen aus Mariupol", heipt der Film. Und "Drei Frauen aus Mariupol", das sind Svitlanas Tochter Alexandra, Sasha genannt, ihre Enkelin Stefanie und ihre Mutter Valentina. Der Film begnügt sich jedoch nicht mit den Porträts verschiedener Generationen. Es geht vor allem um Svitlana selbst, um ihr Innenleben und die Frage, wohin sie gehört. Sie fühlte immer russisch, so glaubt sie. Bis Putin kam und sich abrupt alles änderte.
Ihre Tochter Alexandra erklärt zunächst, dass sie Russen mag und sich wie eine solche fühlt. Doch der russische Angriff ändert auch für sie alles - sie flieht mit ihrem Kind, Svitlanas Enkelin, nach London, ironischerweise mit einem Patenschaftsvisum, das ihren Status als ukrainischer Flüchtling belegt.
Alexandra, die Tochter, die gegenüber der Mutter kein Blatt vor den Mund nimmt, wuchs bei ihrer Großmutter auf. Die Mutter ging weg, als sie fünf war, sie wollte beim Fernsehen in Kiew Karriere machen, was ihr offensichtlich gelang. Svitlana Lishchynska arbeitete 25 Jahre lang bei großen Sendern. Jetzt will sie endlich Ukrainisch lernen, es gehört, so fühlt sie, zu ihrer eigentlichen Identität. Vom Hass auf den früheren sowjetischen Drill ist sie, anders als ihre eigene Mutter, offensichtlich weit entfernt. Über die Ukraine sagt sie im Interview: "Die Ukrainer haben ganz unterschiedliche Wurzeln. Aber es gibt etwas, das uns verbindet. Das sind unsere Werte." Offensichtlich sind damit Menschlichkeit und Aufrichtigkeit gemeint.
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Eine persönliche Reise in die Vergangenheit
Mit Albumbildern und Archivaufnahmen unternimmt der Film eher nebenbei eine Reise in die Vergangenheit einer offensichtlich weitgehend vaterlosen Familie. Liebe hat zwischen den Generationen zumeist gefehlt. Dabei bleibt offen, wie weit die russisch-sowjetische Herkunft womöglich schuld daran war.
Die subjektive Sicht der Autorin, der Wechsel von Schauplätzen und Zeiten, macht das Zuschauen nicht immer leicht. "Drei Frauen aus Mariupol" ist kein Tagebuch, schon gar kein Kriegstagebuch, sondern eine ruhige, sich Zeit nehmende Meditation und Spurensuche. Doch die Montage aus verschiedenen Stimmen und Persönlichkeiten, aus verschiedenen Orten und Zeiten, ist auch das Besondere dieses Films, der letztlich Abstand von wohlfeilem Lagerdenken nimmt und sich auf die menschliche Vernunft besinnen will.