Frankreichs deutsche Kinder - Di. 18.01. - ARTE: 21.50 Uhr

Der deutschen Wurzeln beraubt

16.01.2022 von SWYRL/Andreas Schoettl

In der französischen Besatzungszone wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Tausende Kinder deutscher Mütter nach Frankreich gebracht. Ihrer Identität beraubt, wissen viele Adoptivkinder bis heute wenig über ihre Wurzeln.

"Dieser Krieg hat 50 Millionen Tote gekostet. Man brauchte einfach Kinder. Man hat überall versucht, die eigenen Kinder ausfindig zu machen und sie heimzuführen. Diese Gesellschaft hatte keine Kinder mehr, weil während des Krieges wurden kaum welche geboren, weil die Männer an der Front waren. Und es starben auch so viele im Krieg. Das heißt, alle Nationen waren auf der Suche nach eigenen Kindern." So fasst die Historikerin Silke Satjukow die prekäre Lage nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Vor allem im zerstörten Europa.

Doch anders als Briten, Amerikaner und Russen, die Besatzungskinder als Privatangelegenheit der Deutschen betrachteten, sahen die Franzosen in dem Nachwuchs französischer Väter und ausländischer Frauen in Deutschland einen "nationalen Schatz". Tausende von ihnen wurden in jüngstem Alter nach Frankreich gebracht. Bis heute ist dieses skandalöse Projekt kaum aufgearbeitet. Im Nachkriegseuropa sollte es die demografische Entwicklung der "Grande Nation" ankurbeln.

"Frankreichs deutsche Kinder", die Dokumentation von Anja Unger, begleitet zwei Frauen bei dem Versuch, ihre ersten Lebensjahre in Deutschland zu rekonstruieren. Bei ARTE ist sie nun in Erstausstrahlung zu sehen.

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"Sie sind jung und sie sind formbar"

Eine dieser Frauen heißt Marie-José. Doch das ist nicht ihr richtiger Name. Geboren wurde sie im Dezember 1946 in Herxheim. Als Tochter ihrer deutschen Mutter Barbara Orth. Für Marie-José bedeutet die Adoption ins benachbarte Frankreich bis heute eine schwere Last. "Ich wusste sehr früh, dass ich adoptiert war. Meine Adoptivmutter wiederholte ständig, dass sie mich geschaffen habe, dass ich ihr Werk sei. Ohne sie hätten sie mich auf die Felder geschickt. Ich sollte ihr deshalb dankbar sein", erinnert sie sich in dem bewegenden Film.

Dass heute längst erwachsene Adoptivkinder wie Marie-José auch weiterhin nach ihren Wurzeln suchen, liegt auch daran, dass Frankreich sein grenzübergreifendes Adoptionsprogramm lange unter Verschluss hielt. Erst mit der Gründung der Bundesrepublik kam es zum Erliegen. Damals fürchtete Frankreich einen außenpolitischen Schaden. Um sämtliche Spuren zu verwischen, forderte das Land Anfang der 1950er-Jahre alle Akten aus den deutschen Ämtern an.

Schließlich sollte nicht deutlich werden, dass die mitunter illegalen Adoptionen, bei denen sogenannte Recherche-Offiziere junge deutsche Mütter zur Abgabe ihrer Kinder auch drängten, von höchsten politischen Stellen angeordnet wurden. Der französische Historiker Yves Denéchère fasst dieses unfassbare Vorgehen mitunter so zusammen: "Kann Frankreich es sich leisten, Tausende, Zehntausende Kinder französischer Väter und ausländischer Frauen in Deutschland zu lassen? Die Antwort der Bevölkerungsspezialisten ist nein. Frankreich muss sich diese Kinder holen. Sie haben französischen Blut. Sie sind jung und sie sind formbar. Diesen Ausdruck benutzte man damals. Die Kinder werden sich leicht integrieren und schnell in die französische Gesellschaft aufgenommen werden." Nur das Beispiel Marie-Josés zeigt, dass dies nur sehr bedingt gelungen ist.

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