ARD-Talk "maischberger. die woche"

Ex-Botschafter von Fritsch: "Dann kann das passieren, was Putin am meisten fürchtet"

28.09.2022 von SWYRL/Aylin Rauh

Führt Putins Teilmobilmachung dazu, dass die Stimmung in Russland kippt? Im Gespräch mit ARD-Talkerin Sandra Maischberger setzt der frühere deutsche Botschafter in Moskau vor allem auf die russischen Mütter. Ein im Exil lebender Journalist rief Deutschland auf, russische Kriegsverweiger aufzunehmen.

Viele Beobachter sind sich einig: Mit der Anordnung einer Teilmobilmachung hat der russische Präsident Wladimir Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine auf ein neues Level eskaliert, das auch ihm selbst gefährlich werden könnte. Welche innenpolitischen Folgen hat die Zwangsrekrutierung Hunderttausender Armee-Reservisten? Könnte das Verhältnis zwischen den Bürgern und der Staatsführung kippen? Darüber sprach Sandra Maischberger am Dienstagabend in ihrem ARD-Talk mit Rüdiger von Fritsch, dem ehemaligen deutscher Botschafter in Moskau, sowie mit Tichon Dsjadko, dem Chefredakteur des kremlkritischen Fernsehsenders Doschd.

Junge Männer versuchen, aus Russland zu fliehen, vereinzelt kommt es zu Protesten und Widerstand gegen die Einberufung - mit aktuellen Bildern aus Russland leitete die "maischberger"-Redaktion die Diskussion ein. "Ich denke, das verändert die Stimmung", bestätigte Rüdiger von Fritsch den Eindruck, den die Aufnahmen vermitteln. Es zeige sich nun, "dass es bisher offenbar keine Unterstützung für den Krieg gegeben hat, nur fehlenden Widerspruch", interpretierte der Diplomat die jüngsten Unruhen.

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"Wenn man sie nicht aufnimmt, müssen sie Ukrainer töten"

Zudem sei Putin "ein großes Risiko eingegangen, weil er den ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag Russlands aufgekündigt hat". Der besage: Die Bürger mögen sich nicht in die Politik einmischen, dafür lässt die Politik die Bürger in ihrem Privatleben in Ruhe. Damit sei es nun für alle sichtbar vorbei. Aktuell sehe man in Russland "mutige Aktionen einzelner", allerdings müssten die sich erst noch vernetzen, um eine echte Wirkung zu entfalten.

Könnte Putin sogar das Kriegsrecht verhängen und seine Grenzen schließen, um die Flucht der Reservisten zu unterbinden? Auf Sandra Maischbergers Frage antworte der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau unentschieden: "Das hat er bisher versucht zu vermeiden, er spricht immer noch von einer 'Spezialoperation'. Aber ich will das nicht ausschließen."

Nach Ansicht des russischen Journalisten Tichon Dsjadko müsse Deutschland nun russische Kriegsverweigerer unterstützen und aufnehmen. Er selbst musste wegen der regierungskritischen Berichterstattung seines Senders fliehen und lebt nun im lettischen Exil in Riga. "Die Hauptfrage ist: Wer sind diese Menschen, die gegen den Krieg sind?", gab Dsjadko zugeschaltet aus dem Baltikum zu bedenken. Dennoch sei eines sicher: "Sie sind potenzielle Bündnispartner der zivilisierten Welt. Wenn man sie nicht aufnimmt, werden sie in die Ukraine ziehen müssen und Ukrainer töten."

Für Putin wird es "gefährlich, wenn die Mütter auf die Straße gehen"

Die Proteste in Russland, so Dsjadko weiter, seien für Putin vor allem deshalb gefährlich, weil er nun die Bürgerinnen und Bürger gegen sich aufbringe: "Putin zerstört die Grundlage seiner Macht, die er in den vergangenen 22 Jahren hatte", erklärte der Chefredakteur, nachdem Maischberger Videos von Frauen einspilen ließ, die in Russland für ihre Männer und Söhne protestieren. Er trage den Krieg immer mehr in die Bevölkerung und Häuser derer, die "lange Zeit passiv waren, wie Mütter und Frauen", davon ist Dsjadko überzeugt.

Rüdiger von Fritsch stimmte an der Stelle ausdrücklich zu: "Gefährlich wird es für russische Machthaber immer dann, wenn die Mütter auf die Straßen gehen", erklärt er. Es habe eine "andere Qualität", sobald "Mütter, Ehefrauen der Soldaten, Freundinnen und Schwestern" öffentlich protestieren. "Die Frage ist immer: Vernetzt sich ein solcher Protest?" Wenn der Krieg schlecht verlaufe und immer mehr Bürgerinnen und Bürger sich zusammenschlössen, könne passieren, "was Putin am meisten fürchtet". "Dann taucht der schwarze Schwan auf, der ihm unbekannte Führer, wie Lech Walesa 1979, der Danziger Elektriker, der sagt: 'Mir reicht's, mir nach!' und eine Massenbewegung auslöst."

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