Stimmt das?

Erziehungsmythen: Soll man Babys wirklich einfach schreien lassen?

22.11.2021 von SWYRL

Wenn Sie ein Baby bekommen, hat so ziemlich jeder in Ihrem Umfeld den ein oder anderen guten Ratschlag parat. Aber was sind wirklich gute Tipps und welche können Sie getrost ignorieren?

Wenn Ihr Baby schreit, läuft bei Ihnen und so ziemlich allen anderen Eltern die gleiche körperliche Reaktion ab: Sie sind alarmiert, wollen sofort etwas tun, um Ihrem Kind zu helfen. Dieser Stress hat seinen Sinn, denn wenn das Baby schreit, hat es in der Regel ein Problem oder braucht Zuwendung. Vielleicht haben Sie aber ein Baby, das sich nur schwer oder gar nicht beruhigen lässt, Sie sind erschöpft und denken immer häufiger an den alten (Groß-)Elternspruch: "Lass das Baby doch mal schreien, das kräftigt die Lungen!" Dieser Satz mag tröstlich sein, er ist aber falsch.

Denn: Die Lunge eines Säuglings wird schon beim ersten Schrei nach der Geburt in Funktion gesetzt und entwickelt sich mit dem normalen Wachstum weiter, wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte auf seiner Website schreibt. Eines weiteren "Trainings" bedürfe es nicht.

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Die Mär vom gesunden Schreien stamme wohl aus der Nazi-Zeit, aus dem Ratgeber "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind", den viele Mütter damals an die Hand bekamen, sagte der Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Brisch der "Süddeutschen Zeitung". Dort stehe, dass Eltern nachts nicht mehr zu ihrem Baby ins Zimmer kommen sollen - auch nicht, wenn es schreit. Tun sie es doch, werde das Kind verwöhnt. Und das Schreien sei nicht schlecht, denn es kräftige die Lunge.

Wortwörtlich hört man den Satz vom Kräftigen der Lungen heutzutage kaum mehr, der Streit darüber, ob und wie lange man Babys schreien lassen darf, geht aber weiter. Vor allem, wenn es ums Einschlafen geht.

"Babys brauchen verlässliche körperliche Nähe"

Ein populärer Ratgeber zu diesem Thema ist "Jedes Kind kann schlafen lernen". Wenn Sie dieses Buch in einem Elternforum empfehlen, können Sie sich sicher sein, dass Sie sowohl in einen Shitstorm als auch in einen Candystorm geraten würden. Wobei der Shitstorm wahrscheinlich größer wäre.

Das Buch basiert auf der sogenannten Ferber-Methode (benannt nach dem US-amerikanischen Kinderarzt Richard Ferber) und funktioniert so: Das Kind wird wach ins Bett gelegt, es wird ein Einschlafritual gemacht und das Kind danach allein gelassen. Fängt es an zu weinen oder zu schreien, sollen die Eltern nach einer bestimmten Minutenzahl ins Zimmer kommen, das Baby mit Worten trösten, es aber nicht streicheln oder hochnehmen.

Die Kritiker der Methode sagen, die Angst, die das Baby hat, weil niemand zu ihm kommt und sich kümmert, könnte das Urvertrauen schwächen. Einige sprechen gar von Todesangst und davon, dass permanenter Stress bei Babys die Gehirnentwicklung hemme. Außerdem führte es dazu, dass diese Kinder nicht lernen, mit Stress umzugehen. Dafür bräuchten sie nämlich "verlässliche körperliche Nähe", so die Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik, Fabienne Becker-Stoll.

Andererseits gibt es Fälle, in denen ein schreiendes Baby seine Eltern verzweifeln lässt. Dann ist es immer noch besser, den Säugling kurz allein zu lassen, als seine Verzweiflung oder auch Wut an ihm auszulassen.

Das Thema bleibt insofern aktuell, als es zu den Nebenwirkungen von längerem Schreien lassen keine abschließende wissenschaftliche Meinung gibt. Es gibt zwar Studien dazu, etwa eine aus Australien, die zu dem Ergebnis kam, dass Einschlafmethoden mit Schreien die Mutter-Kind-Bindung nicht unmittelbar negativ beeinflussen. Längerfristige körperliche oder seelische Auswirkungen wurden aber nicht systematisch untersucht.

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