Die Olympischen Spiele im TV

"Die kompliziertesten Spiele aller Zeiten": ARD und ZDF stellen sich auf Olympia in Peking ein

22.01.2022 von SWYRL/Frank Rauscher

Lieben oder hassen - schauen oder ignorieren? Es ist komplizierter denn je mit Olympia: ARD und ZDF haben sich auf die Winterspiele eingerichtet: Man bemührt sich um kritische Distanz, aber was das Programm angeht, werden keinerlei Abstriche gemacht - ganz im Gegenteil.

Olympia in Peking: Das ist gleich auf mehreren Ebenen abseits des Sports diskussionswürdig. Ob es nun um das Thema der Menschenrechte geht, um Fragen der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes oder um die knallharte Zero-Covid-Politik der chinesischen Regierung: Im Vorfeld der Spiele wurde und wird hinreichend über all diese Dinge berichtet - allerdings nur in eingeschränktem Maße vor Ort, weil das mit der Pressefreiheit in China eben auch so eine Sache ist. "Auch wir haben uns diesen Austragungsort nicht ausgesucht", sagt BR-Sportchef Christoph Netzel. Der ARD-Teamchef Olympia 2022 spricht vor dem Event in Peking von den "kompliziertesten Spiele aller Zeiten". Nein, beim bevorstehenden Eiertanz zwischen dem üblichen und fraglos notwendigen und nachgefragten Jubel-Trubel-Sportprogramm und der gebotenen distanzierten, kritischen Polit-Berichterstattung sind die öffentlich-rechtlichen Sender nicht zu beneiden.

Die Frage ist im zweiten Pandemie-Jahr zunächst schon auch, wie groß die allgemeine Lust auf ein Mega-Event mit ausufernden Sendestrecken von der Bobbahn oder aus der Eisschnelllaufhalle überhaupt noch ist. - Die Quoten bei der Sommer-Olympiade 2021 in Japan waren in Ordnung, aber nicht gerade sensationell. Und vermutlich haben Omikron und die immer aggressiver geführte Auseinandersetzung um eine Impfpflicht die Lust und Vorfreude auf eine Winter-Olympiade zuletzt auch nicht unbedingt geschürt.

Aber vielleicht ist es auch genau andersrum. Womöglich sehnen sich ja viele nach Ablenkung und Eskapismus in diesen angespannten Zeiten. Gemeinsames Daumendrücken, zusammen mitfiebern, jubeln und leiden - vor Unzeiten war so etwas doch das perfekte Konsensprogramm: der kleinste gemeinsame Nenner, der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält. Gibt es ausgerechnet bei den Spielen in China das Comeback der integrativen Kraft großer Live-Sportevents? - Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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"Der Sport steht im Mittelpunkt"

ARD und ZDF sowie natürlich auch Eurosport machen, was die Programmflächen mit Übertragungen aus Peking angeht, jedenfalls keine Abstriche - dank digitaler Ausweichmöglichkeiten gibt es vom 4. Februar bis zum 20. Februar mehr Wintersport denn je. ARD und ZDF zeigen von den XXIV. Olympischen Winterspielen in Peking je 120 Stunden Live-Sport im linearen TV, dazu kommen jeweils etwa 500 Stunden mit Olympia-Streams auf den digitalen Kanälen und in den Mediatheken. Verpasstes kann jederzeit nachgeholt werden. Olympia total.

"Der Sport steht im Mittelpunkt, das haben alle Athletinnen und Athleten verdient", betont Christoph Netzel. "Wir freuen uns gemeinsam mit den vielen Wintersportfans in Deutschland auf tolle und emotionale Wettkämpfe." Der ARD-Olympia-Verantwortliche zitierte im Vorfeld Biathletin Franziska Preuß, die es seiner Meinung nach im neuen Sportschau-Podcast "Olympia Countdown" auf den Punkt gebracht habe: "Es war nicht der Traum, Olympia in Peking zu erleben. Aber es ist der Traum eines jeden Sportlers Olympia zu erleben." Netzel versichert: "Dieses Spannungsverhältnis werden wir abbilden."

Auch wenn es der sportinteressierte Zuschauer eigentlich gar nicht groß bemerken wird, ist diesmal vieles ganz anders als sonst. Wie schon bei den Sommerspielen in Tokio arbeiten ARD und ZDF zum überwiegenden Teil vom gemeinsam genutzten nationalen Olympia-Sendezentrum in Mainz aus. Vor Ort in Peking werden nur kleine Teams tätig sein. Laut Christoph Netzel eine "Entscheidung der Vernunft". Die Kosten wären angesichts der vielen Unwägbarkeiten vor Ort "nicht mehr seriös kalkulierbar gewesen", gibt er im Vorfeld der Spiele zu Protokoll. Aber, so betont der BR-Sportchef, "direkte Eindrücke aus Peking werden trotzdem nicht fehlen".

"Dass wir 'eigene Augen, Ohren und Stimmen' vor Ort haben, ist unser unverrückbarer journalistischer Anspruch. Deshalb sind wir mit einem kleinen und kompetenten Team in Peking am Start, darunter erfahrene Reporterinnen und Reporter", erklärt Netzel und verspricht "emotionale Interviews, ungefilterte Informationen, eigene Eindrücke und Einordnungen, hintergründige Recherchen". All das sei "elementar - gerade in einem Gastgeberland, das von der Organisation 'Reporter ohne Grenzen' in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 177 von 180 aufgeführt wird. Kritische Einschätzungen werden wir uns sicher nicht verbieten lassen." Den "programmlichen Doppelpass zwischen Mainz und Peking" bezeichnet der TV-Mann als "echte Herausforderung: Knapp 8.000 Kilometer Entfernung und sieben Stunden Zeitverschiebung erfordern spezielle Workflows."

"Umfassend und kritisch"

Nicht minder Engagiertes ist vom ZDF zu vernehmen. Der Auftrag sei "klar definiert", erklärt Chefredakteur Dr. Peter Frey: Als öffentlich-rechtlicher Sender müsse das ZDF "umfassend und kritisch berichten, die Realität abbilden und die aktuellen Geschehnisse einordnen". Das ZDF werde "entsprechend ausführlich auch die politische Situation in China und die Auswirkungen der Olympischen Spiele beleuchten. Dazu gehören auch der Umgang mit der Minderheit der Uiguren, die Menschenrechtsbewegung in Hongkong und der Status Taiwans."

Die Politik ist allgegenwärtig bei diesem Sportereignis der Superlative. ZDF-Korrespondent Ulf Röller, der während der Spiele aus China berichten wird, fasst die komplexe Situation aus seiner Sicht zusammen: "Staatspräsident Xi Jinping will mit diesen Spielen eines erreichen: dass Peking die erste Stadt ist, die es geschafft hat, einmal die Olympischen Sommerspiele und einmal die Olympischen Winterspiele auszurichten." Xi wolle mit den Spielen "die Überlegenheit des chinesischen Systems dokumentieren", sagt Röller. "Proteste, die diesem schönen Bild in irgendeiner Form widersprechen und etwa auf die Arbeitslager in Xinjiang hinweisen oder darauf, was mit der Freiheitsbewegung in Hongkong passiert, werden unterdrückt." Der ZDF-Reporter zeigte sich im Vorfeld unmissverständlich: "Die Spiele, die 2022 stattfinden werden, sind darauf ausgerichtet, Jubelspiele für Xi Jinping zu werden, der ein sehr strenges und autoritäres Regime führt."

Ebenso deutlich gibt sich ARD-Korrespondentin Tamara Anthony: "Die meisten Leute haben Angst, uns ein Interview zu geben", gibt sie im Gespräch mit der Agentur teleschau zu Protokoll: "Zu Recht", sagt sie: "Meist bekommen sie nach einem Interview einen Anruf oder Besuch von der Polizei. Wenn sie etwas Kritisches gesagt haben, kann das zu großen Schwierigkeiten bis hin zu Gefängnis führen."

Hajo Seppelt, ARD-Experte für Sportpolitik & Doping, führt noch einen anderen Aspekt an: "Olympische Winterspiele waren zuletzt ja fast so etwas wie ein Ladenhüter - kaum ein Land wollte sie haben, etwa wegen der Kosten oder auch Fragen der Nachhaltigkeit", erklärt er. "Insoweit war es für das IOC ein Geschenk des Himmels, dass Peking den Finger gehoben hatte." Das Problem dabei, so Seppelt: "Leider scheint es für das IOC oder andere Organisationen des Weltsports allzu oft praktikabler zu sein, sich mit autokratischen Staaten zusammenzutun, weil dort die Dinge meist ohne kritischen Bürgerdialog hinter den Kulissen geregelt werden."

Neureuther: "Werde von morgens bis abends mitfiebern"

Und was ist sportlich zu erwarten? ARD-Mann Michael Antwerpes, er gehört ebenfalls zu den "China-Fahrern", traut Deutschland in der Nationenwertung einen Platz unter den Top 5 zu. "Im Skispringen sollten mindestens drei Medaillen möglich sein. Im Biathlon setze ich auf Denise Herrmann, die im Spätherbst ihrer Karriere sicher nochmal voll angreifen wird, dazu die Staffeln." Wie eigentlich immer wird auch mit den deutschen Bob- und Rodelsportlern und den Stars der Nordischen Kombination zu rechnen sein.

Ohne die ganz großen Edelmetall-Chancen gehen diesmal die Ski-alpin-Sportler an den Start. Allerdings gehört auch das zum Wesen und zum Reiz einer Olympiade: dass alle Athleten die besondere Aufmerksamkeit der Sportfans daheim verdient haben. Felix Neureuther, der nach seiner aktiven Karriere nun als ARD-Experte aus dem Mainzer Sendezentrum berichten wird, findet die dazu passenden Worte: "Bei Olympia stehen auch die Athletinnen und Athleten im Fokus, die im Alltag nicht die große mediale Bühne bekommen und die in der Öffentlichkeit nicht zu den großen Stars zählen. Das sind meine heimlichen Stars", sagt das ehemalige Slalom-Ass. "Sie fiebern alle auf Olympia hin - auch das macht die Spiele so besonders. Ich werde von morgens bis abends mitfiebern."

Dabei ist es ausgerechnet Felix Neureuther, der in einer sehenswerten Dokumentation ("Spiel mit dem Feuer - Wer braucht noch dieses Olympia?", Montag, 31. Januar, 20.15 Uhr, im Ersten) für eine ausnehmend kritische Einstimmung sorgt. Der Film von Nick Golüke und Robert Grantner folgt dem ehemaligen Slalom-Ass bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage aller Fragen: Wie konnten die Olympischen Spiele ein zweites Mal an Peking vergeben werden? Ja, es sind wohl wirklich die kompliziertesten Spiele aller Zeiten.

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