Tatort: Das ist unser Haus - So. 17.01. - ARD: 20.15 Uhr

Die klügste Komödie des Jahres?

11.01.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Stuhlkreis-Verhöre und Verdächtigungen per Aura-Erspüren: So wie im alternativen Wohnprojekt "Oase Ostfildern" haben die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) noch nie ermittelt. Auch der zweite Stuttgarter "Tatort" von Dietrich Brüggemann ("Stau") ist ein TV-Highlight.

Schwaben meinen es ernst, wenn sie die Welt besser machen wollen. Das gilt nicht nur für klassische Unternehmer aus dem berühmt innovativen Mittelstand, sondern auch für alternative Projekte. Der linke Kreuzberger Kiez galt schon vor dem Mauerfall als größte Ansammlung von Schwaben außerhalb Baden-Württembergs. Und wer in einer klassischen Uni-Kleinstadt studierte, kennt die Südwestdeutschen mit dem markanten Idiom als akribische Betreiber von Bio- oder Fahrradläden. Nun hat der Teil-Schwabe Dietrich Brüggemann, er verbrachte einige Jahre seiner Jugend in Stuttgart, der alternativ schwäbischen Wesensart ein filmisches Denkmal gebaut. In seinem zweiten "Tatort" für die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) nach "Stau" (Grimmepreis-nominiert, 2018) nimmt er die Bewohner einer alternativen Baugemeinschaft unter die Lupe. Das Ergebnis funktioniert durchaus als klassischer "Tatort", ist aber zusätzlich die vielleicht klügste Sozialkomödie des Jahres.

Gerade mal vier Wochen ist es her, dass die Baugemeinschaft "Oase Ostfildern" in ihr Gebäude eingezogen ist. Schon muss wegen eines Abdichtungsproblems das Fundament wieder aufgebaggert werden. Zum Vorschein kommt eine Leiche im oder besser am Keller. Die Gerichtsmedizin identifiziert sie als Frau, viel mehr weiß man zunächst nicht. Lannert und Bootz erhalten Hinweise darauf, dass es sich bei der Toten um eine ehemalige Bewerberin beim Wohnprojekt handeln könnte. Nun werden die Kommissare regelmäßige Gäste bei Stuhlkreis-Runden, treffen Bewohner mit Aura-Verdächtigungen und philosophieren mit der "Stubenältesten" Ulrike (Christiane Rösinger) über Vor- und Nachteile des klassischen Familienmodells gegenüber einer Erwachsenen-WG.

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"Lassie Singer" Christiane Rösinger mit einer Hauptrolle

Regisseur Dietrich Brüggeman, der gemeinsam mit Daniel Bickermann auch das Drehbuch geschrieben hat, ist mit "Das ist unser Haus" eine großartige Tragikomödie über den Kampf und Krampf des Zusammenlebens ambitionierter Menschen gelungen. Im Ensemble brachte der Filmemacher viele alte Bekannte, aber auch ungewöhnliche "Schauspieler" unter: die Musikerin und Multikünstlerin Christiane Rösinger (früher bei den Lassie-Singers), Songwriterin Désirée Klaeukens, mit der Brüggemann selbst ein Musikduo unterhält oder - in einer durchaus überzeugenden Gastrolle - Heinz Rudolf Kunze, den man ebenfalls eher mit Musik denn Schauspiel verbindet.

Natürlich darf auch Schwester Anna Brüggemann nicht fehlen, die eine besorgte Mutter zweier kleiner Mädchen im Haus spielt. Mit Softie-Mann Karsten (Michael Kranz) sind sie die einzige "klassische" Familie im Wohnprojekt. Des Weiteren diskutieren, streiten und suchen das bessere Leben: das lesbische Paar Viktoria (Lana Cooper) und Birgit (Désirée Klaeukens), der junge, dauergernervte Marco (Joseph Bundschuh), Heilpraktiker Wendelin (Eike Jon Ahrens), seine dem Ausräuchern verbundene Ex Kerstin (Nadine Dubois) und der von seiner Frau getrennt lebende Udo (Oliver Gehrs).

"Aber die finden einen wenigstens, wenn man tot ist"

Doch wie schon in "Stau" belassen es Brüggemann und Bickermann nicht beim - brillanten - Sezieren eines Schwungs Kurzbiografien, sondern sie erzählen auch eine kluge und wendungsreiche Geschichte. Bevor am Ende des neuen Brüggemannischen Schwaben-"Tatorts" eine der ungewöhnlichsten Verfolgungsjagden der deutschen Krimigeschichte den Zuschauer staunen macht, wird auf zutiefst witzige wie tragikomische Weise der Wunsch des Menschen nach einem besseren Leben seziert. Auffällig ist, dass man sich in der "Oase Ostfildern" mehr streitet als bei den berühmten Kesselflickern. Aber ist das Leben im Gemeinschaftsmodell, abseits der klassischen Familie damit abgewählt?

Wohnprojekt-Philosophin Ulrike räsoniert gegen Ende: "Menschen an sich sind halt schwierig, nervtötend und fehlerhaft. Aber wer das nicht will, kann ja in so ein Reihenhaus ziehen - und sich wundern, wenn er am Ende stirbt und keiner vermisst ihn. Hier hat man halt die ständige Auseinandersetzung mit Menschen, die sich die Hälfte der Zeit aufführen wie egozentrische Kleinkinder. Aber die finden einen wenigstens, wenn man tot ist." "Das hat sich's ja am Ende gelohnt", antwortet Kommissar Lannert trocken zum Schluss. Dazu geben ein paar sanfte Gitarrenklänge Dietrich Brüggemanns, der auch noch den Soundtrack komponierte, den versöhnlichen Abbinder dieses frühen "Tatort"-Highlights 2021.

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