"Das ist los"

Neues Album im Schnelldurchlauf: Was ist los, Herbert Grönemeyer?

24.03.2023 von SWYRL/John Fasnaugh

Herbert Grönemeyer veröffentlicht Musik, die er unter dem Titel "Das ist los" zusammenfasst - das schürt bei einem so meinungsstarken Pop-Kommentator wie ihm natürlich große Erwartungen. Das neue Album, Song für Song, im Schnelldurchlauf.

Herbert Grönemeyer gilt seit vielen Jahren schon als gutes Gewissen der Deutschen im Pop. Weil er genau hinsieht, weil er spitz und intelligent kommentiert, und weil er auch vor klaren politischen oder gesellschaftlichen Statements nicht zurückschreckt. Fünf Jahre nach "Tumult" (2018) präsentiert er nun sein neues Werk "Das ist los", das über insgesamt 13 Songs wieder viele große (Krisen-)Themen streift. Was ist also los, Herbert Grönemeyer? Das Album im Schnelldurchlauf.

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Deine Hand

"Deine Hand gibt mir den Halt, den ich so dringend brauch', um nicht zu brechen": Grönemeyer singt im ersten Lied des Albums - gleichzeitig die erste Vorabsingle - zu Piano und pulsierendem Beat vom Händereichen. Hoffnung, Zuversicht, "wir könnten uns noch retten". Im Video verneigt er sich vor den Frauen im Iran, die so tapfer für ihre Rechte kämpfen. Starke Bilder, starker Auftaktsong, und schon hier lohnt sich das genaue Hinhören: "Ich schau' nach links und fühl' mich blind / Für Perspektiven, die uns weiterbringen".

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Das ist los

Der zweite Song, Grönemeyer zieht das Tempo an und schaltet zu knarzenden Synthesizern erstmals in den Lautsprecher-Modus. "Bankenkrise, Emirat, Schuldenbremse, Windradpark / Lifehacks, Burnout, Horoskop, Cis, binär und transqueerphob": Im Titellied seines 16. Studioalbums rattert Grönemeyer die Schlagwörter in so schneller Folge herunter, dass man kaum hinterherkommt. "Was ist, Kid, kriegst du noch was mit?". Intensive (und anstrengende) drei Minuten, danach bräuchte man eigentlich erst einmal eine Viertelstunde Pause.

Herzhaft

Herbert Grönemeyer vertritt immer klare Positionen, aber das Selber-Denken möchte er niemandem abnehmen. Siehe "Herzhaft", Song drei auf dem neuen Album. Zu verträumt-enigmatischem Midtempo-Synthpop singt Grönemeyer von Gehirnwäsche, Stuss und Realitätsbetrug, aber auch von Liebesüberschuss und beschwingtem Zauber. "Nimm mich in die Herzhaft, lass mir keinen Schmerz nach". Nette Wortspielereien, in die man viel (oder auch gar nichts) hineinlesen kann.

Tau

"Manchmal legt der Tau sich auf mich und dann werd' ich leise traurig / Weil ich glaube nicht, dass alles so schön ist, wie es ist": Grönemeyer nimmt sich einen ruhigen Moment zum melancholischen Durchatmen, spielt eine anmutige kleine Pianoballade. Schwermütig, schön, intim. "Tau" ist das leiseste Stück auf dem Album, bezeichnenderweise aber auch das kürzeste (zwei Minuten 41 Sekunden).

Genie

In jedem Menschen steckt ein Genie, man muss es nur herauslassen (oder herauskitzeln): Grönemeyer wird mit Song fünf zum Motivationscoach, der uns sachte antreibt, entgegen unserem inneren Schweinehund das Beste aus uns zu machen. Im Hintergrund, passend, werfen luftige Geigen kleine musikalische Sonnenstrahlen. "Oh, entfriere dein Genie / Es ist, was dich lebt / Oh, du trägst den Code zum Paradies / Bring' es auf den Weg".

Der Schlüssel

Er singt nicht von "offenen Armen", die können sich empathische Hörerinnen und Hörer bei "Der Schlüssel" aber leicht dazudenken. Grönemeyer widmet sich (mal wieder) dem Flüchtlingsthema, singt gefühlvoll von Entwurzelung, Abschied, Sirenen, Trauma und explodierten Träumen. "Nichts ist wie, was man Heimat nennt / Man ist hier fremd, man ist gelähmt / Weil man nie vergisst, dass der Schlüssel nicht mehr schließt". Einer der rührigsten Titel auf diesem Album, aber einer mit hoffnungsvoller Schlussnote - auf dass die neue Generation irgendwann wieder einen Schlüssel hat, der passt.

Angstfrei

"Wer nicht strampelt, klebt an der Ampel und wartet auf Grün / Der Ernst der Lage steht außer Frage, jetzt heißt's durchzuziehen": Auch bei "Angstfrei" schwingt im Hintergrund viel Politik mit, noch auffälliger als der Text ist hier aber die Musik selbst. Grönemeyer spielt lebhaften NDW-Pop, im Video wird ausgelassen getanzt. "Freiheit, Neuzeit, vor allem angstfrei / In der Unruhe liegt die Kraft." Mehr Aufbruchstimmung geht kaum.

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Urverlust

"Für dich werd' ich mich nie ändern / Ich will nur sagen, ich liebe dich inniglich": "Urverlust" ist wohl einer der persönlichsten und am wenigsten politischen Titel auf "Das ist los", dabei aber vielleicht doch das größte Highlight. Poetische Liebeserklärung und zugleich Schlag in die Magengrube. Grönemeyer singt von "seidnen Befehlen", "ewigen Sekunden" und einem bitteren Ende. "Es warst nur du, immer du, immerzu ..."

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Eleganz

Grönemeyer macht Musik für Menschen, die gerne über Musik nachdenken, aber das kann auch ganz schön anstrengend sein. In "Eleganz" lässt der Meister selbst mal Fünfe gerade sein, dazu spielt er lustige Blubber-Geräusche ab wie jemand, der gerade sein erstes Keyboard geschenkt bekommen hat. "Eleganz" ist so ungefähr alles außer elegant, im Album-Kontext aber durchaus erfrischend. "Such in deinem Leben nicht dauernd Sinn / Saug es auf und vertraue ihm blind / Versuch's mit Eleganz, nimm es voll und tanz' / Lass' deine Beine dich beherrschen."

Oh Oh Oh

Die klare Grönemeyer-Kante, da haben wir sie wieder. Der Songtitel "Oh Oh Oh" hätte nichtssagender kaum ausfallen können, im Text aber streift Grönemeyer alle möglichen Reizthemen zwischen Inflation, Klimakrise und Generationenkonflikt. "Muss die Welt erst in Flammen steh'n, dass wir uns aus unserem Koma dreh'n?" Der versöhnliche, aber doch mit Bestimmtheit vorgetragene Kerngedanke: Aufbruch, "rüber in die neue Zeit", alle zusammen - nicht irgendwann, sondern jetzt!

Eine Tonne Blei

Liebliches Klavierspiel und zarte Streicher, dazu singt er: "Ich häng' an dein Herz eine Tonne Blei / Und lass dich dann allein". "Eine Tonne Blei" zieht große Spannung aus dem Kontrast, das bleibt sofort hängen. Losgelöst von aktuellen Weltschmerz-Themen präsentiert Herbert Grönemeyer eine echte Perle von einer Ballade, die ihren Platz auf diesem Album allein deshalb verdient, weil sie so sehr berührt. Leidvoll, dabei doch wunderschön und völlig zeitlos.

Behutsam

Jemanden mit Musik auf ein Podest heben, das beherrscht im deutschen Pop kaum jemand so wie Herbert Grönemeyer. Mit "Behutsam" zeigt er es mal wieder. "Du platzt vor Euphorie und prallst aufs Leben ungebremst / Bescheinst die Gegenwart und trägst sie leuchtend im Gesicht / Wirfst Wonnen weit um dich und triffst damit mich". Wen er damit meint, ist nicht ganz klar. Vielleicht eines seiner Kinder ("An deinem Tage eins hast du's schon unernst gemeint") - vor vier Jahren wurde Grönemeyer zum dritten Mal Vater.

Turmhoch

Der letzte Song des Albums, "Turmoch". Auch hier wählt Grönemeyer statt dem großen politischen Statement wieder die persönliche Widmung - in dem Fall für "Poline", der er aber zumindest ein paar Weisheiten mit auf den Weg gibt. "Ohne Druck keine Diamanten / Ohne Flugangst würde keiner mehr landen / Nur wer einsteckt, gibt auch den Ton an / Nicht jeder schafft es im Schongang". Nicht sonderlich spektakulär, aber doch ein gelungener Abschluss.

Fazit

Was ist los, Herbert Grönemeyer? Der erfolgreichste Musiker Deutschlands beackert auf seinem neuen Album wie erwartet die ganz großen Themen (sprich: Krisen). So klar, wie es der Albumtitel "Das ist los" verspricht, sind seine Statements zwar nicht. Aber wer Grönemeyer kennt, der weiß inzwischen, wie man die einzelnen Bausteine zusammenzusetzen hat. Wenig Oberlehrer-Getue, aber viele Denkanstöße, und im Hintergrund tobt er sich ein bisschen zwischen House, Electro, NDW und Piano-Pop aus. Unterm Strich eine grundsolide Grönemeyer-Platte.

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