Tilo Neumann und das Universum - Mo. 05.07. - VOX: 20.15 Uhr

Christoph Maria Herbst als Anti-Stromberg

01.07.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Christoph Maria Herbst spielt einen 50-jährigen Lehrer, der trotz bürgerlicher Fassade sein Leben in den Sand gesetzt hat. Nach dem Totalabsturz hört er eine Stimme (Elena Uhlig), die fortan Ordnung in sein Dasein bringt. Die charmante TVNOW-Serie zeigt VOX am Stück als Free TV-Premiere.

Vielleicht ist das die Serie, die Deutschland auf der hoffentlich letzten Etappe des Pandemie-Marathons braucht: In "Tilo Neumann und das Universum" spielt Christoph Maria Herbst ("Stromberg") den 50-jährigen Lehrer Tilo Neumann - geschieden, frustriert, Gewohnheitstrinker. Gerade hat der Germanist seine Schüler in die Sommerferien verabschiedet, ohne dass seine Abschlussfrage, was die Klasse in diesem Schuljahr bei ihm gelernt hätte, auch nur von einem seiner jungen Zuhörer beantwortet worden wäre. Den Ferienbeginn feiert Lehrer Neumann - wohl nicht zum ersten Mal - alleine auf dem Wohnzimmer-Fußboden, mit harten Drinks, lautem Retro-Rock und in der Schule gefundenen LSD-Trips.

Es folgt eine Nahtod-Erfahrung, von der eine Stimme (gesprochen von Elena Uhlig) zurückbleibt, die fortan regelmäßig mit Tilo Neumann spricht. Ihr Angebot: Wenn der Gefallene fortan seinen Mitmenschen in kleinen Alltagsdingen hilft, kommen bald größere Nächstenliebe-Projekte auf ihn zu. Schließlich soll alles, ja wirklich alles in seinem Leben wieder in Ordnung kommen. Die charmant-kluge Miniserie "Tilo Neumann und das Universum" feierte ihre Premiere im April bei RTLs Streaming-Dienst TVNOW. Nun zeigt VOX die acht knapp 25 Minuten langen Folgen am Stück als Free-TV-Premiere.

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"Ein Engel auf Erden" im Jahr 2021

Zu Beginn versucht Lehrer Neumann, die aufgekratzte Stimme und ihre engelsgleichen Angebote zu ignorieren. Doch das Wesen in seinem Kopf ist hartnäckiger als ein Dauer-Tinnitus. Also lernt der Heimgesuchte, auf den überirdischen Deal einzugehen. Fortan ändert Tilo Neumann seine Einstellung und findet - mithilfe der Stimme - viele kleine Aufgaben, deren Sinn sich ihm nicht unbedingt gleich erschließt. Neben Tilos bestem Freund Siggi (Ronald Kukulies), dem einzig Eingeweihten in den Stimmenspuk, wundern sich auch Teenietochter Alice (Hannah Schiller), Ex-Frau Jana (Christina Große) sowie deren neuer Freund, Esoterik-Influencer Swen (Mirco Kreibich) über den "neuen" Tilo.

Was diese Serie nun mit der Pandemie zu tun hat? Autorin Sonja Schönemann ("Sekretärinnen", "Rentnercops") zeigt in ihren ebenso warmherzigen wie oft überraschend gebauten Plots, dass Solidarität und gegenseitiges Helfen im Alltag unsere Lebensqualität deutlich verbessern kann. Keine neue Erkenntnis, aber eine, an die man dringend mal wieder erinnert werden sollte. Ein bisschen erinnert die Idee von "Tilo Neumann" an Michael Landons 80er-Serie "Ein Engel auf Erden" (1985 bis 1989), in der der ehemalige "Bonanza"- und "Unsere kleine Farm"-Sympathieträger einen Engel spielte, der vom Himmel zu Menschen in Not geschickt wurde, um als Undercover-Helfer deren Leben wieder in Ordnung zu bringen.

Vielleicht weil Engel in Film und Serie ein wenig abgenutzt scheinen, schickt VOX nun eine säkularisierte Variante ins Rennen, in der "das Universum" Gott ersetzt und der Engel als Stimme im eigenen Kopf daherkommt. Dass man die übersinnliche Nummer auch als ein Hängengebliebensein auf psychedelischen Drogen verstehen kann, die in den Tiefen der Seele eines frustrierten Midlife-Crisis-Mannes wirken, macht den Stoff nicht weniger interessant.

Engel waren gestern, heute hört man Stimmen

Echte Qualität stellt sich allerdings erst über die gut gebauten Drehbücher sowie das angenehm bodenständige und zurückgenommene Spiel des ehemaligen "Stromberg"-Stars Christoph Maria Herbst ("Merz gegen Merz") ein. Herbst ist momentan ein überaus gefragter Mann. Neben der ZDF-Serie "Merz gegen Merz" spielte er auch im Wirecard-Dokudrama "Der große Fake - die Wirecard-Story" (TVNOW/RTL) den genialisch-gestörten Konzern-CEO Markus Braun. Was seine Darstellung des gefallenen Jedermanns Tilo Neumann so stark macht, ist im Gegensatz zu Figuren wie Stromberg oder Braun dessen Angreifbarkeit.

Lehrer Neumann ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, einer mit vielen Facetten, gleichzeitig Held wie Antiheld. Manchmal weiß man in der Dramedy gar nicht, ob man das Leben des Protagonisten nun in einer Rückblende sieht oder ob der Mann schon wieder etwas gelernt, repariert oder neu in den Sand gesetzt hat. Es ist ein Flickenteppich aus Erkenntnissen, Demütigungen und überraschend edlen Taten, die Tilo Neumann aus dem gegenwärtigen Sumpf des Lebens Stück für Stück herausziehen. Oder zieht er sich ganz und gar selbst aus dem Schlamassel? Egal, welche Lesart man wählt: "Tilo Neumann und das Universum" ist eine leichte und doch kluge Serie, die nicht nur gut gemacht ist, sondern auch gut tut. Gerade jetzt und in Zeiten wie diesen.

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