Brasilien am Scheideweg der Demokratie?

Die 148 Millionen Wahlberechtigten Brasiliens stehen am 2. Oktober 2022 vor einer wegweisenden Entscheidung. Sie wählen einen neuen Präsidenten, der wohl entweder Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (Arbeiterpartei PT) - genannt Lula - sein wird oder der rechtspopulistische Amtsinhaber Jair Bolsonaro (Liberale Partei PL). Bolsonaro, ein Fan Donald Trumps, hat bereits durchblicken lassen, er könne im Fall einer Niederlage - Lula führt bei den Meinungsumfragen - das Ergebnis nicht anerkennen. Unruhen, schlimmer als jene rund ums Washingtoner Kapitol am 6. Januar 2021, könnten Brasilien erschüttern. Auch wenn eine Stichwahl der beiden genannten Amtsbewerber recht wahrscheinlich ist und am 4. Oktober noch keine Entscheidung fallen mag, zeigt ARTE am 4. Oktober unter dem Themenabend-Titel "Brasilien hat die Wahl" zwei Dokumentationen, die sich mit dem politischen Richtungskampf sowie den politischen Strömungen und Skandalen im bevölkerungsreichsten Land Südamerikas beschäftigen.

"Lula oder Bolsonaro, das Duell", eine 52-minütige Dokumentation des Franzosen Vincent Rimbaux, erinnert noch einmal an ein ziemlich starkes Stück, das Lula 2018 die Präsidentschaft gekostet haben könnte: Damals befand sich Lula wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis und durfte nicht zu den Präsidentschaftswahlen antreten. Bolsonaro wurde stattdessen Präsident. Seitdem hat das Oberste Gericht Lulas hochumstrittene Haftstrafe allerdings aufgehoben. 2022 stellt er sich erneut zur Wahl und gilt als Favorit, dessen klarer Vorsprung aber zuletzt schrumpfte. Über vier Monate vor der Wahl dokumentiert der Film die Kampagnen der beiden Bewerber und beleuchtet ihren Werdegang.

In Brasilien geht es 2022 wohl um wenig mehr als die Zukunft der Gesellschaft und der Demokratie an sich. Bolsonaro steht für ein Verlassen des alten Systems und eine Bewegung hin zur Autokratie oder gar Dikatatur. Zwei Asse hat er dabei im Ärmel: den Nationalismus und die Religion. Evangelikale Gemeinden, Militär und Großgrundbesitzer, die auf Land im Amazonasgebiet schielen, sind die mächtigen Unterstützer Bolsonaros, während hinter Lula vor allem die ärmere Bevölkerung steht. Welche Programme verkaufen die beiden Kandidaten - und wie gestalten sie ihren Wahlkampf?

Auch der um 22.35 Uhr folgende, 90 Minuten lange Dokumentarfilm "Brasilien und der Fall Lula da Silva - Anatomie eines Politskandals" ist eine deutsche Erstausstrahlung. Das Werk der brasilianischen Filmemacherin Maria Ramos taucht tief ein in die politischen Skandale Brasiliens und nimmt den verzweifelten Kampf der letzten freien Presseorgane gegen Korruption und für mehr Demokratie während der Bolsonaro-Jahre unter die Lupe. Stück für Stück zeigt sich im Film die Korruptionsgeschichte des Landes. Viele Polit-Größen, die zuvor nie öffentlich darüber sprachen, zeigen, wie Brasilien "hinter den Kulissen" funktioniert.