Neue ARD-Doku deckt Missbrauch auf

ARD-Journalist Hajo Seppelt über sexualisierte Gewalt im Schwimmsport: "Das gleiche Problem wie beim Doping"

18.08.2022 von SWYRL/Eric Leimann

Im neuen Film des ARD Doping-Experten und Investigativ-Journalisten Hajo Seppelt geht es um sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport. Ein ehemaliger Weltklasse-Sportler gesteht einen 20 Jahre andauernden Missbrauch durch seinen Trainer. Ist die Sportart für Übergriffe besonders sensibel?

Hajo Seppelt, Investigativjournalist der ARD und vor allem als Doping-Experte bekannt, widmet sich in seinem neuen Film "Missbraucht - Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport" (Samstag, 20. August, 22.40 Uhr, im Ersten und bereits ab Donnerstag, 18. August, in der ARD-Mediathek) einem Thema, das in vielen Sportvereinen und Verbänden immer noch tabuisiert wird: der Gefahr von sexuellen Übergriffen durch Trainer und andere Verantwortliche. Im Interview spricht der ehemalige Schwimmer und Schwimm-Kommentator über die besondere Sensibilität eines Sports mit viel "nackter Haut" und ein Grundproblem des Leistungssports sowie jener, die für seine Erfolge sorgen sollen.

teleschau: Ihr Film untersucht sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport. Wie sind Sie gerade auf diese Sportart gekommen?

Hajo Seppelt: Wir hatten einen Informanten, der uns auf Themen, die dann auch im Film behandelt werden, aufmerksam gemacht hat. Er hat uns einen Betroffenen genannt, mit dem man mal reden sollte. So begann unsere Recherche. Abgesehen davon - auch wenn das eher Zufall ist: Ich war 14 Jahre lang Schwimm-Live-Kommentator bei der ARD, von 1992 bis 2006. Dieser Sport und sein Milieu sind mir nicht ganz unbekannt. Ich kenne auch die Funktionäre und weiß die Vorgänge ein bisschen einzuschätzen.

teleschau: Was war - vor diesem Film - Ihr Gefühl gegenüber diesen Funktionären?

Seppelt: Mein Eindruck war, dass man dem Erfolg so ziemlich alles unterordnet. Auch wenn die absolute Fokussierung auf die sportliche Zielsetzung natürlich systemimmanent ist - die gnadenlose Ausrichtung auf Maximierung des Erfolgs ist ein grundsätzliches Problem des Hochleistungssports. Dort sind oft zu viele Leute unterwegs, die diese nötige Problematisierung völlig ausblenden. Zugespitzt könnte man sagen: Man bedient sich in ausbeuterischer Manier am Menschen. Auf der Strecke blieben leider viel zu häufig die Sportler.

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"Schwimmen ist ein Sport mit viel nackter Haut"

teleschau: Im Film taucht die Soziologin Bettina Rulofs auf, deren Studie "Save Sport" herausgefunden hat, dass mehr als jeder dritte Leistungssportler im Verein schon unangemessene Berührungen, schweren sexualisierten Missbrauch oder anzügliche Bemerkungen aushalten musste. Ist das im Schwimmsport besonders verbreitet?

Seppelt: Ich weiß es nicht. Unser Eindruck nach den Recherchen ist aber, dass in viel zu vielen Vereinen kein Fokus auf diesem sensiblen Thema liegt. Rund die Hälfte der Sportvereine hat in der "Save Sport"-Studie laut Bettina Rolofs angegeben, dass sie das Thema nicht relevant finden. Eine Haltung, die ich als problematisch empfinde. Schwimmen ist ein Sport mit viel nackter Haut. Ich war selbst als Kind in einem Schwimmverein. Zwar habe ich nicht mal im Ansatz etwas in diese Richtung erlebt, aber dass die Gefährdung der Kinder, Jugendlichen und generell Schutzbefohlenen in diesem Sport ausgesprochen groß ist, um das zu kapieren, braucht man nicht unbedingt eine Brille.

teleschau: Also sollte im Schwimmsport eine besondere Achtsamkeit gelten?

Seppelt: Man sollte in allen Sportarten gegenüber der Gefahr sexualisierter Gewalt sehr achtsam sein. In der Tat bieten hier einige Sportarten besonders sensible Voraussetzungen - und dort muss man aus meiner Sicht tatsächlich noch genauer hinschauen.

teleschau: Was müsste passieren, dass der Sport insgesamt das Thema sensibler behandelt?

Seppelt: Es ist im Prinzip das gleiche Problem wie beim Doping. Sexualisierte Gewalt wird viel zu oft marginalisiert. Im organisierten Sport geht es bei vielen Problemfeldern oft nur darum, die Sportart oder die Organisation zu schützen. Aber nicht jene, die von Übergriffen jeglicher Art betroffen sind. Man kann das auf Doping, sexuellen Missbrauch, Korruption und jegliche andere Form von Ausbeutung beziehen. Es ist nach meiner Erfahrung meistens so, dass Sportorganisationen immer zuerst darauf bedacht sind, den Ruf zu wahren. Ich würde sogar sagen: Es ist fast ein Prinzip, dass Sportorganisationen nach immer ähnlichen Mustern verfahren.

"In Kriminalfilmen nennt man das 'Omertà"

teleschau: Sie sprechen vom sogenannten Korpsgeist, den man aus Krimis oder Polizeifilmen kennt. Die Organisation steht in Sachen Schutzbedürftigkeit immer an oberster Stelle.

Seppelt: Ja. In Kriminalfilmen nennt man das "Omertà". Meistens wird geschwiegen. Dabei läuft der organisierte Sport schon seit Jahrzehnten Gefahr, als Kulturgut immer mehr zerstört zu werden. Dabei ist er so elementar wichtig für die Gesellschaft. Wenn aber sexualisierte Gewalt ein Tabuthema ist oder bagatellisiert wird und Sportlern sogar der Tipp gegeben wird, lieber zu schweigen, wird die Hürde für Betroffene sehr, sehr hoch. Die Scham der Opfer verhindert dann oft zusätzlich noch, dass Fälle nach außen dringen.

teleschau: Sie haben Ihre Vorwürfe dem Deutschen Schwimm-Verband vorgelegt. Welche Reaktion gab es?

Seppelt: Der ehemalige Weltklasse-Springer Jan Hempel, der in unserem Film eine zentrale Rolle spielt, weil er Vorwürfe des Missbrauchs über viele Jahre gegen seinen mittlerweile verstorbenen Trainer offenlegt, belastet den langjährigen DSV-Top-Funktionär Lutz Buschkow als jemanden, der viel gewusst und wenig gegen diese Kultur unternommen hat. Buschkow hat auf unsere Anfrage dazu nicht reagiert. Die aktuelle DSV-Führung gab an, von den Vorwürfen Hempels erst jetzt durch die ARD erfahren zu haben. Aber auch nach Hempel gab es immer wieder Vorfälle von verbalisierter sexueller Atmosphäre bis zu schwerem Missbrauch. Eine Person aus dem Führungszirkel des Verbandes, die anonym bleiben möchte, bezeichnet den aktuellen Umgang der DSV-Spitze mit dem Thema sexualisierte Gewalt im Film als "Augenwischerei und Fassade".

"Das erfordert großen Mut"

teleschau: Wie schätzen sie die offizielle Reaktion des Verbandes ein?

Seppelt: Ich sehe das von zwei Seiten. Zum einen kann die aktuelle DSV-Führung nun wirklich nichts dafür, was vor vielen Jahren passiert ist. Andererseits ist für mich schon sehr auffällig, dass es immer wieder Vorfälle bis in die jüngste Vergangenheit gab, die zu noch größerer Sensibilisierung hätten führen müssen. Mein Eindruck ist, das Thema steht vor allem dann ganz oben auf der Agenda, wenn Journalisten durch ihre Berichterstattung darauf aufmerksam machen. Eigentlich traurig.

teleschau: Hat jemand versucht, die Veröffentlichung des Films zu verhindern?

Seppelt: Nein, warum auch. Menschen erzählen dort von ihren ganz persönlichen Erfahrungen. Einige von ihnen gehen dazu sogar erstmals in ihren Leben offen vor die Kamera. Das erfordert großen Mut. Natürlich gibt es im Film auch starke Kritik am Verhalten von Funktionären und Sportorganisationen. Aber niemand ist auf die Idee gekommen, dies zum Anlass zu nehmen, eine Berichterstattung zu unterdrücken.

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