TVNOW-Doku "Angela Merkel - Frau Bundeskanzlerin"

XXL-Doku "Frau Bundeskanzlerin": So nah kam man dem Gefühlsmenschen Angela Merkel selten

27.06.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Mit Angela Merkel verlässt eine besondere Frau das deutsche Kanzleramt. Eine viereinhalbstündige Doku, die das gesamte Leben der bald 67-Jährigen beleuchtet, drehte Stefan Aust für RTLs Streamingdienst TVNOW. Premiere ist am Dienstag, 29. Juni.

Angela Merkel, Stoikerin und nüchterne Strippenzieherin. Eine Technokratin, gelernte Physikerin. Dies war das vorherrschende Merkel-Bild über weite Phasen ihrer 16 Jahre währenden Kanzlerschaft, die 2021 zu Ende geht. Dass es noch eine andere Angela Merkel gibt, um nicht zu sagen: viele andere, zeigt der hochinteressante Dokumentarfilm "Angela Merkel - Frau Bundeskanzlerin" von Stefan Aust. Der Politjournalist produzierte zusammen mit der UFA fünf Folgen à 50 bis 54 Minuten für den RTL-Streamingdienst TVNOW.

Austs Film dürfte vor allem eine gigantische Recherchearbeit zugrunde liegen, denn es ist keine jener Dokumentationen, in der vorwiegend Weggefährten und politische Beobachter vor dunklen Interviewwänden sitzen und ihre Meinung und Erinnerungen zum Besten abgeben. Zwar gibt es auch ein paar dieser Szenen, doch ein Großteil des Materials verschreibt sich der Beobachtung. Ein fast schon psychologischer Ansatz, der Merkel beim Zuchauen unangenehm sein könnte, da er ihre eigentlich sehr kommunikative, leidenschaftliche, aber auch von öffentlicher Nähe genervte Seite präsentiert.

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Genervtheiten und Herzlichkeiten

Angela Kasner, die 1977 den Physikstudenten Ulrich Merkel heiratete, sich fünf Jahre später von ihm scheiden lässt, um weitere zwei Jahre später den Quantenchemiker Joachim Sauer zu ehelichen, ist die Tochter eines evangelischen Pastors, der von Hamburg in die DDR gegangen ist. 1989 tritt die junge Angela Merkel während der Wendezeit in die Politik ein. Dass sie bei den Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung mit am Tisch sitzt, beobachtend wie sie sagt, hat damit zu tun, dass die Mittdreißigerin 1990 als stellvertretende Regierungssprecherin der Regierung Lothar de Maizière ihren ersten Job in der Politik angenommen hat.

Später, nach vollzogener Wiedervereinigung, wird sie Helmut Kohls "Mädchen", das äußerlich eher linkisch und unerfahren die junge Quoten-Ossi-Frau in diversen Regierungsämtern gibt. Von 1991 bis 1994 wird sie Bundesministerin für Frauen und Jugend und von 1994 bis 1998 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Von 1998 an, bis zu ihrer Wahl zur Bundesvorsitzenden der Partei 2000 im Zuge der CDU-Spendenaffäre, amtierte Merkel als Generalsekretärin der CDU. Nach dem knappen Sieg der Union bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 löste sie schließlich Gerhard Schröder als Bundeskanzler ab. So weit die Fakten. Die eigentliche Überraschung der Aust-Doku, die in Ausschnitten auch bei einem großen, vierstündigen Angela Merkel-Themenabend im RTL-Programm vom Donnerstag, 15. Juli (ab 20.15 Uhr) zu sehen sein wird, liegt in den Bildern. In den vielen Genervtheiten und Herzlichkeiten kurz vor oder nach Interviews, wenn die Kamera schon oder immer noch lief, als Merkel sie abgeschaltet wähnte.

Als Angela ihrem Mitschüler eine Ohrfeige verpasste

Solche Momente werden in "Angela Merkel - Frau Bundeskanzlerin" überzufällig oft eingesetzt. Vielleicht deshalb, weil man so dem Gefühls- und Bauchmenschen Angela Merkel, der sie auch ist, in zahlreichen Szenen dieser Doku verblüffend nahezukommen glaubt. Es sind Bilder, die eine sympathische und offene Frau zeigen. Eine, die zwischen Liebe zu Idealen, Vernunft, Menschen und Demokratie und einem Wunsch nach großer Privatheit changiert. Man erlebt faszinierende Schwankungen und Kämpfe, die ein aufmerksamer Beobachter gerade der jungen Angela Merkel in den ersten Teilen der Doku-Serie an Gesicht und Körper ablesen kann.

Das Merkel-Bild wird noch etwas klarer, wenn ihre 2019 verstorbene Mutter in einem älteren Interview erzählt, dass Angela als Kind immer weggelaufen sei, wenn jemand böse zu ihr war. Solange, bis der elterliche Vorschlag, sich zu wehren, in einer schallenden Ohrfeige endete, die Schülerin Angela ihrem männlichen, nervenden Sitznachbarn auf die Wange schnellte. Eine Anekdote, die ebenso überraschend klingt wie jene, dass Angela während ihres Physikstudiums als Bardame arbeitete. Weniger überraschend ist da schon Merkels Abneigung gegen das Schminken und gestellte Politiker-Fotos, auf denen sie sich noch bis tief in die 90-er hinein selbst nicht leiden konnte.

Der Doku-Fünfteiler ist sehenswert, weil er mehr beobachtet als erzählt, weil er vor seltenen Archivaufnahmen strotzt und Merkels Wesen besser ergründet als jedes noch so ausführliche, offizielle Kanzlerinnen-Interview. Daneben zeigt "Angela Merkel - Frau Bundeskanzlerin" älteren Zuschauer auch ein wenig, wie schnell diese letzten gut 30 Jahre vergangen sind. 30 Jahre mit Angela Merkel, die immer irgendwie da war. Es beschleicht einen das früher bei manchen vielleicht nicht für möglich gehaltene Gefühl, man könnte die Physikerin im Amt irgendwann vermissen.

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