Rose Byrne in Apple-Dramedy

Aerobic-Serie "Physical": So viel 80-er war lange nicht mehr

17.06.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Warum boomen Serien, die in den 80-ern spielen? Das neuste Produkt stammt von Apple TV+ und erzählt die Entstehung des Aerobic-Booms im Kalifornien. Die tolle Dramedy "Physical" mit Rose Byrne hat allerdings mehr zu bieten als nur kalkulierte Retro-Nostalgie.

Seit den 80-ern gab es nicht mehr so viele Serien, die in den 80-ern spielen - könnte man sagen: Die Steven Spielberg-Gedächtnis-Serie "Stranger Things" ist eines der erfolgreichsten Netflix-Produkte weltweit. "Glow" erforschte beim gleichen Sender die weibliche Wrestling-Szene der 80-er und Serien über den Kalten Krieg wie "The Americans" oder die deutsche Trilogie "Deutschland 83, 86 und 89" begeisterte ebenfalls Zeitzeugen und ihre Nachkommen weltweit. Fast möchte man fragen, welcher Aspekt der 80-er noch nicht durch den Retro-Kakao gezogen wurde - und kommt dabei unter anderem auf das Thema Aerobic. Diesbezüglich schafft nun "Physical" Abhilfe, eine zehnteilige Dramedy von Apple TV+, die ab Freitag, 18. Juni, Abonnenten des Streamingdienstes zur Verfügung steht.

Die etwa halbstündigen Folgen sind nicht nur nach der erfolgreichsten US-Single der 80-er Jahre benannt (der Superhit "Physical" von Olivia Newton John hielt sich Ende 1981 zehn Wochen auf Platz eins der Single-Charts), Newton-Johns australische Landsfrau Rose Byrne spielt auch ziemlich faszinierend die zentrale Hauptrolle eines präzise im Frühachtziger-Pastell gezeichneten, weiblichen Entwicklungsromans: Die mit ihrem Leben unzufriedene Hausfrau Sheila (Byrne) unterstützt die Kandidatur ihres umtriebigen, aber auch etwas schlichten Mannes Danny (Stand-up Comedian Rory J. Scovel) für das Landesparlament. Das Paar ist in der linken kalifornischen Flower Power-Kultur der 70-er sozialisiert. Doch mittlerweile ist man erwachsen und hat eine Tochter im Kindergartenalter. Als Sheilas Mann seinen Job als Uni-Dozent verliert und auf eine Polit-Karriere umschwenken will, wird das Geld im Hause Rubin ziemlich knapp.

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Kalifornischer Lifestyle der frühen Ronald Reagan-Jahre

Plötzlich stehen die bürgerlich gewordenen Hippies im Strandparadies von San Diego ziemlich dumm da. Rechnungen können nicht mehr bezahlt werden, die Gesichter der Bankmitarbeiter versteinern, wenn man sich am Schalter Geld auszahlen lassen will. Und trotzdem will der kommerzielle kalifornische Lifestyle der frühen Ronald Reagan-Jahre weiter bedient werden - vor den teilweise deutlich erfolgreicheren Nachbarn und anderen Zeitgenossen. Da entdeckt Sheila eine merkwürdige Fitness- und Tanzbude in einem Einkaufszentrum. Zunächst ist sie nur vom Aerobic-Tanzen an sich begeistert, schließlich wird sie zur Trainerin. Dann findet Sheila eine Möglichkeit, die neue Leidenschaft mit der aufkommenden VHS-Video-Technologie zu verbinden und ein revolutionäres Geschäftsmodell zu entwickeln.

Auch wenn die "große" Story von "Physical" die Entwicklung einer scheinbar schwachen Frau zur Lifestyle-Ikone nachzeichnet, übers Knie gebrochen wird in der sehr gut geschriebenen und gespielten Serie von Annie Weisman ("Desperate Housewives") nichts. Autorin und Produzentin Weisman, die bei Apple einen langfristigen Vertrag unterzeichnet hat, erwies sich schon in ihren anderen Serien als Meisterin ebenso witzig-schlagfertiger wie tiefgründiger Dialoge. Sie kann darüber hinaus aber auch wunderbar geduldsam die Entwicklung ihrer in der Regel weiblichen Hauptfiguren gestalten. Letzteres ist in "Physical" gelungen, denn Weismans Sheila darf sich so langsam und facettenreich entwickeln, dass man mitunter glaubt, einer Figur aus dem echten Leben zuzusehen.

Die 30-Jahre-Theorie des Serienfernsehens

Für Schauspielerin Rose Byrne ("Brautalarm", "Peter Hase", "Spy") mittlerweile 41 Jahre alt und in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder in Listen mit den schönsten Frauen des Planeten auftauchend, ist die Rolle ein Geschenk. Hier kann Byrne zeigen, dass sie als Hollywood-Star der vielleicht zweiten Reihe bislang sträflich unterschätzt wurde. Als tragikomische Hausfrau, die zur Unternehmerin wird, zeigt die Mutter zweier kleiner Söhne eine der besten schauspielerischen Leistungen, die man im Serienfernsehen der diesjährigen Saison bislang bewundern durfte. "Physical" ist auf jeden Fall eine der positivsten Überraschungen des Serien-Sommers 2021.

Bleibt die Frage, warum die fiktionalen 80-er derzeit so populär sind. Eric Schrier, Programmchef des US-Senders FX, der mit "The Americans" und "Snowfall" immerhin zwei Serien auf seinem Sender ausstrahlt, die in den 80-ern spielen, spricht von einer "30-Jahre-Lücke" nach deren Theorie stets drei Dekaden vergehen müssen, bevor eine Zeit für ihre fiktionale Aufarbeitung in Film- oder Serienform reif ist. Dazu kommt, dass viele Kreative und natürlich auch Zuschauer nach dieser Zeitspanne Lust darauf haben, ihre eigene Kindheit und Jugend nostalgisch aufzuarbeiten. Oder man ist wie die Duffer-Zwillinge, Macher von "Stranger Things" und erst 1984 geboren, eben von 80-er Jahre Fiction beeinflusst, die in deren Kindheit über TV und Videotheken noch eine erhebliche Wirkung ausgestrahlt haben dürften. Sei's drum, wenn ein Zeitkolorit so klug eingefangen und erzählt wird wie in "Physical", dürfen die 80-er gern noch weiter in Filmen und Serien ausgebeutet werden.

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