Tatort: Am Tag der wandernden Seelen - So. 05.05. - ARD: 20.15 Uhr

Karows Tränen in der Pagode

02.05.2024 von SWYRL/Eric Leimann

Die Ermittler Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) tauchen in ihrem zweiten gemeinsamen Fall in die vietnamesische Kultur Berlins ein. Sind bestialische Verbrechen und buddhistische Exilkultur eine spannende Krimi-Mischung?

Als ihre Drohne in Nachbars Garten abstürzt, machen zwei spielende Kinder in Berlin-Lichtenberg einen irritierenden Fund. Der Bewohner ist in seinem biederen Einfamilienhaus mit zahlreichen Stichen ermordet worden. Als die Mordkommission in Person von Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) anrückt, ergibt sich im "Tatort: Am Tag der wandernden Seelen" jedoch ein neuer Twist. Offenbar hatte das Opfer schon vor seinen tödlichen Verletzungen erhebliche Untiefen: In seinem Keller finden die Ermittler einen Raum, in dem Menschen gequält wurden. Spuren führen in die vietnamesische Community Berlins. Bonard und Karow treffen auf die Ärztin Dr. Lê Müller (Mai-Phuong Kollath), die mehr wissen könnte, als sie zugibt.

Robert Karow, der nach dem "Tatort: Nichts als die Wahrheit" (2023), einem Thriller über rechte Strukturen in Polizei, Justiz und Politik, zum zweiten Mal mit der neuen Kollegin Bonard zusammenarbeitet, streunt bald durch den Berliner Hoa Mai Center. Dort findet der notorische Einzelgänger nicht nur vietnamesische Exilkultur, sondern zunehmend auch sich selbst und seinen Schmerz über den Verlust der Freundin/Kollegin Nina Rubin (Meret Becker), die in ihrer Abschiedsfolge "Tatort: Das Mädchen, das allein nach Haus' geht" (2022) zu Tode kam.

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Erinnerungen an Rostock-Lichtenhagen

Doch keine Angst! Der neue Fall von Karow und Bonard ist kein Selbstfindungstrip, wie man ihn in Waschkes Solofolge "Tatort: Das Opfer" im Dezember 2022 nach Rubins Abgang erlebte. "Tatort: Am Tag der wandernden Seelen" ist eher eine Mischung aus hartem, quälenden Thrillerstoff der Marke David Fincher und einer kleinen Kulturreise in die etwa 20.000 Menschen umfassenden Vietnamesen-Szene Berlins.

Einige Szenen des Films spielen in einer Pagode, wie man eine hierzulande eher unübliche Mischung aus religiösem und kulturellem Zentrum nennt. Hier gedenken Vietnamesinnen und Vietnamesen über aufgestellte Fotos den Verstorbenen, worauf der Titel des Krimis anspielt. Die real existierende, in einem Ostberliner Industriegebiet gelegene Pho Da-Pagode, dürfte Schauplatz und Vorlage für die am Rande des Krimis erzählte Geschichte sein: Wegen fehlender behördlicher Genehmigungen ist der Tempel schon seit Jahren von der Räumung bedroht, auch wenn aktuell eine Duldung bis 2026 im Raum steht. Irgendwie auch eine sehr deutsche Geschichte.

Tatsächlich geht es im Buch von Mira Thiel (auch Regie), die bislang zwei "Tatorte" für den mittlerweile abgewickelten humoristischen Weimarer Standort mit Christian Ulmen und Nora Tschirner drehte, auch um Begegnungen zwischen Deutschen und Vietnamesen. In einer Szene, in der ein Mitglied der vietnamesischen Community von Angst berichtet, sagt Ermittlerin Bonard, dass sie damals dabei gewesen sei, als 1992 im Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen ein Pogrom stattfand. Die im Wohnheim von einem rechten Baseballschläger-Mob eingekesselten Vietnamesen damals seien der Grund dafür gewesen, dass Bonard Polizistin wurde. Dass die erfahrene Ermittlerin trotz ihrer vielen Dienstjahre noch immer sensibel auf Gewalt reagiert, darf man allerdings schon in einer frühen Szene des vor allem zu Anfang sehr detailreichen Tatortanalyse-Krimis sehen. Dann nämlich, wenn es darum geht, wie das Opfer, das selbst Täter war, gestorben ist.

Auch Robert Karow zeigt Gefühle ...

Robert Karow, den Schauspieler Mark Waschke diesmal besonders expressiv spielen darf, hat indes eine schöne Szene, in der er von einem buddhistischen Mönch zum gemeinschaftlichen Essen an einer langen Tafel eingeladen ist. Offenbar ist der Lonesome-Policeman Berlins so bewegt von der Herzenswärme des Ortes und seiner Menschen, dass ihm spontan ein paar Tränen ins Gesicht schießen. Es ist eine der stärksten Szenen in einem Krimi, der gerade in Sachen Kamera (Moritz Anton) und Bildsprache kunstvoll geraten ist und mit vielen vietnamesischen Darstellern inklusive einer Undercover-Ermittlerin (Trang Le Hong) punktet. Dass der Fall selbst nach sehr starkem Beginn etwas nachlässt, kann man aufgrund des faszinierenden Einblicks in eine fremde Welt mitten in Berlin verschmerzen. Kleine Punktabzüge für einen guten Berlin Fall gibt es noch dafür, dass ein paar Dialoge zwischen Bonard und Karow ein wenig Drehbuch-didaktisch im Sinne eines "Wir-klopfen-unser-Verhältnis-ab" klingen.

Nach dreimal 90 Minuten (Fall eins war ja ein Zweiteiler) mit Karow und Bonard steht keineswegs fest, ob die unbestrittenen Klasse-Schauspieler Corinna Harfouch und Mark Waschke eine so besondere Chemie miteinander entwickeln, wie sie bei Meret Becker und Mark Waschke zweifellos vorhanden war. Immerhin: Der "Tatort: Am Tag der wandernden Seelen" ist deutlich besser geraten als der doch recht platte, wenn auch politisch engagierte Thriller über rechte Gefahren innerhalb des Staatsapparates, der zum Osterfest 2023 das neue Berliner Ermittler-Duo einführte. Nach dem Gesellschafts-Thriller folgte nun also ein Blut- und Integrations-Thriller. Man darf gespannt sein, in welche Richtung Bonards und Karows dritter Fall weisen wird.

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